Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
Vom Netzwerk:
gehabt!
    Ich öffne die Augen. Durch die Oberlichter kriecht das Morgengrauen. Tess’ Gesicht liegt auf dem Kopfkissen neben mir. Sie schläft tief. Ihr Mund ist leicht geöffnet, eine Locke hängt zwischen ihren Lippen. Ich ziehe sie vorsichtig heraus. Sie seufzt und leckt sich über die Lippen. Ich bekomme eine Erektion. Wow. Ich kann also in ihrer Nähe eine Erektion bekommen. Vorausgesetzt natürlich, sie schläft. Hm. Wann hatte ich eigentlich meine letzte, während sie bei Bewusstsein war? Rutsche ich gerade in die Nekrophilie ab? Werde ich in Zukunft zu totem Fleisch onanieren, während ich in der Leichenhalle Nachtwächter abhänge? Hallooo!!! Ja, ja, schon gut. Herrje, das muss der Restalkohol sein. Ich möchte die Augen schließen, am liebsten für immer, aber gleich platzt mir die Blase, also rolle ich mich vorsichtig aus dem Bett, versuche meinen Mageninhalt zu lassen, wo er ist, und schwanke ins Bad. Gott, ist mir schlecht.
    Ich werfe zwei Aspirin in ein Wasserglas, pinkle zehn Minuten, verputze wirkungslos eine halbe Tube Zahnpasta, trinke das Aspirinwasser, wanke wieder zurück zum Bett und schwöre mir, wie jedes Jahr: nie wieder Karnequal.
    Helles Licht. Warmes Bett. Kein warmer Körper. Ich öffne die Augen. Durch die Oberlichter strahlt die Wintersonne aus einem blauen, wolkenfreien Himmel ins Zimmer. Aus der Halle klingen Stimmen herein, dahinter ölt Dean Martin. Für einen Augenblick bin ich wieder Kind und wache in meinem Kinderzimmer auf, während meine Eltern draußen singen. Allmorgendlich wachte ich zu Swing auf und hörte sie mitsingen. Es ist schön, so aufzuwachen. Wenn ich Kinder hätte, würden sie morgens auch zu Swing aufwachen. Armstrong, Sinatra, Krall, Bennett, Fitzgerald, Martin, Davis, Connick jr., Simone, Cullum – die Liste ist lang. Und der Gedanke sinnlos. Denn ich habe keine Kinder. Um die zu bekommen, muss man Sex haben. Prima, eine Minute wach und schon voll im Thema.
    Ich richte mich langsam auf. Die Uhr zeigt zehn. Tess muss um elf am Bahnhof sein. Wellen der Übelkeit durchlaufen mich. Mein Blick bleibt an dem Sexschwein im Regal hängen. So ein Tag wird das.
    Die Zimmertür öffnet sich. Tess balanciert ein Tablett herein. Sie trägt bereits ihr Businesskostüm, hat ihre Haare nach hinten geklemmt und zu einem Dutt hochgesteckt. Nach vier Wochen Jeans, Shirts und Lockenkopf ist der Anblick ein Schock. Ich hasse diese Uniform.
    »Morgen, Liebster.«
    Sie stellt das Tablett ab, gibt mir einen Kuss, klappt das japanische Dingsbums auf und stellt es aufs Bett. Teller drauf, Besteck, Serviette, Rührei, Pfeffer, Salz, eine geviertelte Paprika, und zum guten Schluss wirft sie zwei Aspirin in ein Wasserglas und füllt Champagner aus der Flasche von gestern in zwei Gläser. Sie hebt ihr Glas und lächelt mich an. Wir prosten, trinken. Dann setze ich das Glas ab und lehne mich wieder ins Kissen. Sie deutet auf den Teller und auf das Rührei.
    »Iss. Es sind Arnes Ökoeier von total glücklichen Hühnern.«
    Ich nehme mir eine Gabel und probiere das Ei.
    »Hmmm, da möchte man gleich jemanden total umarmen, du.«
    Tess beobachtet, wie ich das Ei verputze. Im Zimmer ist nichts zu hören, außer Geschirrgeklapper und die leise Musik von draußen. Als ich den Blick hebe, hat sie wieder diesen Ausdruck in ihren Augen. Sie senkt den Blick und spielt mit einer Locke, die sich aus dem Dutt gelöst hat. Ihre Stirn ist leicht gekräuselt, ihr Blick ruht auf dem Teller, als hätte sie dort komplizierte chemische Vorgänge entdeckt. Vielleicht denkt sie gerade an ihn. Ich glaube, mein Mädchen hat eine Affäre. Irgendwann musste es ja passieren. Bei mir hat es nicht so lange gedauert. Ich hörte damit wieder auf, als ich merkte, dass mich das Schuldgefühl länger beschäftigte als das Glücksgefühl. Und ich habe es ihr verschwiegen, wie sie es mir jetzt verschweigt. Ich wollte sie damals nicht verletzen, nur weil ich ihre Absolution für meinen Seelenfrieden brauchte. Zumindest redete ich mir das ein. Vielleicht war ich auch nur feige. Vielleicht ist sie nur feige. Vielleicht hat sie ebenfalls Schuldgefühle. Vielleicht liege ich auch total falsch, und sie überlegt sich gerade, was sie zu Abend essen will.
    »Liebster, was ist?«
    Sie hat aufgehört, an der Locke zu ziehen, und mustert mich.
    »Nichts«, sage ich und balanciere eine Gabel Glücksei zum Mund.
    »Dann hör auf damit.«
    »Womit?«, frage ich und mustere sie kauend.
    Sie beugt sich zu mir herunter, legt mir drei Finger

Weitere Kostenlose Bücher