Beziehungswaise Roman
kleinen Eckschrank, in dem die Q-Tips schon immer stehen.
»Oben rechts.«
»O Mann«, gickelt sie und geht zu dem Schrank.
Ich schaue zu, wie sie mit den Q-Tips das Bad verlässt, damit ich nicht sehen muss, wie sie ihre Ohren säubert, denn das könnte ja unerotisch sein, und wir wollen ja nicht, dass die erotische Spannung an den Alltagsdingen zugrunde geht, nicht wahr? Auch nach hundert Jahren nimmt sie immer noch Rücksicht auf die potenzielle Lusttötung, und alles,woran ich denken kann, ist, sie weiß noch nicht mal mehr, wo die Q-Tips stehen.
Als ich in ein Handtusch gewickelt aus dem Bad komme, sitzt Tess in Shirt und Slip auf dem Bett, isst ein Tomatenbrot mit irgendwelchen Krümeln drauf und blättert in einer Galore.
»Ich hoffe, du hast nichts aus dem kleinen Fach im Kühlschrank genommen.«
»Ich bin ja nicht verrückt«, sagt sie mit vollem Mund.
Nein, aber wer vergisst, dass Arne trockener Alkoholiker ist, vergisst vielleicht auch, wo er seine Pilze aufbewahrt. Ich habe ihm tausend Mal gesagt, dass eines Tages etwas Furchtbares passieren wird, aber er kann mit seinem Fach schließlich machen, was er will, nicht wahr?
Ich suche frische Unterwäsche aus dem Schrank, wickele mich aus dem Handtuch und beginne mich abzutrocknen. Mein Blick bleibt an dem Sexschwein im Buchregal hängen. Es ist von einer leichten Staubschicht überzogen. O Symbolik.
»Lass uns rausgehen«, schlägt Tess vor und beißt wieder von ihrem Brot.
»Es ist Weiberfastnacht«, erinnere ich sie und trockne mich weiter ab.
»Deswegen ja«, sagt sie. »Lass uns feiern gehen.«
Ich werfe ihr einen Blick zu.
»Wie sicher bist du, dass du nicht doch Arnes Fach erwischt hast?«
Sie lacht nicht.
»Ach, komm schon, wir können doch wegen des Jetlags eh nicht schlafen.«
Ich werfe das Handtuch über eine Stuhllehne und steige in meine Unterhose.
»Möchtest du einen Kaffee? Also, ich möchte jetzt einen,ich mache uns gleich einen leckeren, ja? Hmm, endlich wieder richtigen Kaffee, nicht diese Amiplörre. Toll, was?«
Ich schnappe mir mein Shirt und gehe raus in die Halle, bevor sie mich noch überredet, unseren letzten Urlaubsabend in einer Kneipe voller Wahnsinniger zu verbringen. Als ich nach Köln zog, hatte ich schon einige Karnevalsgeschichten gehört, doch die Realität ist viel, viel härter. Fünf Tage vorprogrammierter Spaß für als Transen verkleidete Spießer, die zu uncooler Musik schunkeln und mit besoffenem Kopf niveaulos baggern. Wenn man sich nicht gerne von Volltrunkenen knutschen lässt, ist man verklemmt. Wenn man ein sauberes Glas haben möchte, ist man eine Spaßbremse. Tess meint, ich sehe das falsch, in Wahrheit sei Karneval ein spirituelles Hocherlebnis. Fünf Tage im Jahr durch deutsche Straßen zu gehen und dabei von Fremden angelächelt, abgefüllt, umarmt, eingeladen und geküsst zu werden, all das beinhalte doch die Hoffnung, dass wir eines Tages tatsächlich One World sein könnten. Immer wenn sie diese Theorie aufstellt, nicke ich ihr zu. Ich mag es, dass sie alles positiv sieht. Aber irgendwie erwarte ich von einem spirituellen Erlebnis, dass man über die Straße gehen kann, ohne in Kotze zu treten. Karnequal.
Kapitel 3
Aus dem Laden hämmert das, was Karnevalisten und andere Geschmackssadisten Musik nennen. Schon an der Tür fällt uns ein als Transe verkleideter Schnauzbartträger entgegen. Ich werfe Tess einen Blick zu, doch sie stößt lachend die Tür auf, und schon sind wir in der Sauna. Auf Tischen, Stühlen und Fensterbänken tanzen bierselige Funkemariechen, Piraten, Prinzen, Polizisten, Räuberinnen, Fußballer, Schumi-Fans, Riesenbabys, Lebensmittel und ein paar ewig gestrige Teletubbies bei fünfzig Grad. Sofort prasseln die ersten Kommentare auf uns ein. Früher musste man als Mutprobe einen Drachen erlegen – heute geht man unkostümiert in eine Karnevalskneipe. Tess begegnet dem auf ihre Art: Sie wirft mir ihren Mantel zu, drängelt sich in eine Gruppe Gemüse, hängt ihre Arme über die Schultern einer Karotte und einer Gurke, schon ist sie in die Karnevalsgemeinde integriert. Sie kennt mich gut genug, um mich da nicht mit reinzuziehen. Sie nicht alleine losgehen zu lassen ist eine Sache, mitmachen eine ganz, ganz andere.
Ich knöpfe meinen Mantel auf, kämpfe mich durch die schwitzende Menge und ergattere einen Platz an der Theke, von dem ich gute Sicht auf das Chaos habe. Keine Minute da, und schon läuft mir der Schweiß den Rücken runter. Ich hänge die Mäntel an
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