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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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einen Haken und schaue mich nach Tess um. Sie ist bereits von der Menge verschluckt. Beim Sex und beim Feiern kann sie sich am besten gehen lassen, dementsprechend muss der Karneval eine Menge kompensieren.
    Ein Köbes gleitet mit einem vollen Kölschkranz durch die Menschenmasse wie ein Hai durch einen Fischschwarm. Ich bestelle ein Wasser. Er reicht mir ein Kölsch. Ich mustere den Lippenstiftrand auf dem Glas, doch bevor ich etwas sagen kann, zieht er schon weiter. Eine Polizistin lacht mich an. Ich wende mich vorsichtshalber ab. Der Laden geht hoch.
    »NÄÄÄÄÄÄÄ, WAAAAT WOR DAT DENN FRÖHER EN SUPERJEILE ZICK!!«
    Die Menge brüllt. Alles fasst sich unter die Arme und schunkelt. Ich werde gegen die Theke gequetscht.
    »MIT TRÄNE EN DE OHCHE LUR ICH MANCHMOL ZORÜCK!!«
    Von der Seite bekomme ich etwas Hartes in die Rippen, es folgt ein lachendes Padong!
    »BEN ICH HÜCK OP D’R ROLL NUR NOCH HALV SU DOLL!!«
    Jemand schüttet mir etwas Nasses über den Rücken. Zwei Hände legen sich um meinen Oberkörper und zerren an meinem Hemd. Ich klammere mich an die Theke.
    »DOCH HÜCK NAACH WEESS ICH NIT WO DAT ENDE SOLL!!«
    Die Menge wiederholt den Kehrreim begeistert und beruhigt sich danach ein wenig. Die Hände lassen los. Dafür steht die Polizistin jetzt vor mir und wedelt mit Handschellen. Ich glaube Bußgeld von ihren Lippen zu lesen, schon schnappt sie nach meinem Handgelenk und erwischt mein Glas. Der Inhalt schwappt mir vorne übers Hemd. Ich will ihr gerade einen Anschiss verpassen, als es wieder losgeht. »NÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ, WAAAAT WOR DAT DENN FRÖHER EN SUPERJEILE ZICK!!«
    Eine Wand aus Körpern drückt gegen mich. Jemand schlägt mir das leere Glas aus der Hand. Ein anderer stampft mir auf den Fuß. Diesmal gibt es kein Pardon: Erst werde ich an derTheke zerquetscht, dann von ihr weggezogen. Ich drücke mit aller Kraft dagegen und kann mich gerade noch rechtzeitig an die Theke zurückretten, bevor ein Räuber meinen Platz klaut. Ich stoße ihn weg, klammere mich an den Kleiderhaken und wische mir den Schweiß aus den Augen. Mein Hemd ist durchnässt, meine Rippen schmerzen, mein großer Zeh ist Matsch, und wahrscheinlich kriege ich gerade Herpes. Immerhin sind schon fünf Minuten rum. Der Köbes kommt vorbei. Ich bestelle eine Fanta, nehme mein Kölsch entgegen und richte mich auf einen langen, dreckigen Grabenkampf ein.
     
    Ein Dutzend Gassenhauer später bin ich von den Getränken, Texten und betrunkenen Flirtversuchen angeschlagen. Doch es gibt Hoffnung. Eine Gruppe Afrikaner hat den Laden geentert. Sie sehen in ihren Kostümen einfach süß aus, und ihre Trommeln unterlegen den furchtbaren Schunkelsound mit einem treibenden, lebendigen Busch-Groove. Natürlich findet sich sofort der obligatorische Samba-VHS-Kurs mit Trillerpfeifen zusammen und tut dem Groove das an, was die Wehrmacht Polen antat. Dennoch steckt die Rhythmik nach und nach den ganzen Laden an, der Schunkelmief weicht ein bisschen zurück, alles wird lebendiger. Tess wird an die Oberfläche gespült. Sie trägt einen Cowboyhut und einen angemalten Bart. Sie singt theatralisch, und ich spüre, wie meine Mundwinkel hochwandern. Sie geht nie mit Arbeitskollegen feiern, weil die sie nicht so sehen sollen. Sie will nicht, dass sie den Respekt vor ihr verlieren. Ich würde mir eher Sorgen machen, dass sich alle in sie verlieben. Und wer weiß, wie viele es schon getan haben.
    Sie schaut sich suchend um, entdeckt mich, wirft eine Kusshand und versinkt wieder in den Untiefen der Kulturhölle. Meine Polizistin bedrängt mittlerweile den Räuber. Sie hatja nur fünf Tage Zeit, um all das zu erleben, was sie sich die letzten dreihundertsechzig Tage ausgemalt hat, nicht wahr? Sie verhaftet ihn, und wenig später wechselt ihre Zunge auf die andere Seite des Gesetzes. Ich trinke aus einem Glas, aus dem heute schon das halbe Viertel getrunken hat, und frage mich, ob ich schon betrunken genug bin, um auf ein Karnevalsklo zu gehen. Da die Antwort darauf immer Nein sein wird, leere ich unser aller Glas, winke dem Köbes, bestelle eine Apfelschorle, nehme das Kölsch entgegen und lasse meinen Blick durch das Chaos wandern. Um mich herum wird gefeiert, geflirtet, geknutscht, gefummelt, gesoffen und gesungen. Alles Dinge, die mir sympathisch sind. Außer im Karneval. Irgendwas an der Sache gefällt mir nicht. Zu viele Schwulenhasser, die als Transe gehen. Zu viele Rassisten, die sich schwarz bemalen und sich de kölsche Negerköpp nennen. Zu

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