Beziehungswaise Roman
ein paar Meter Küste gefressen, und diesmal musste die Privattreppe des Fünf-Sterne-Restaurants dran glauben. Das haben die Yuppies davon, wenn sie eine Treppe im Wind bauen. So weit ich schauen kann, ist der Strand mit Brettern, Tang, Fischen und Trümmern übersät. Sieht aus wie nach einer Hooliganparty. Nicht zu vergleichen mit dem glatten weißen Sandstrand des Sommers.
Am Strand stelle mich ins Lee neben den alten Bunker und genieße die Naturkraft. Das Meer ist grau und donnert heftig gen Land, aber es ist nicht das wilde Wüten eines Sturms, sondern eine berechenbare Winterbrandung. Welle für Welle rollt heran und bricht tosend über den Steinen zusammen, dann zieht sich das Wasser mit dem tausendfachen Klackern der Kiesel zurück. Wieder. Und wieder. Und wieder.
Vejbystrand liegt genau zwischen zwei Touristenhochburgen. Der Strand ist nur über die kilometerlange steinige Küste oder eben über diese einhundertsiebenundachtzig wadenbeißenden Stufen zu erreichen. Das macht ein normaler Tourist nicht gerne mit, und so verbrachte ich mit Tess hier ganze Tage, ohne mehr als eine Handvoll Leute zu treffen. Am schönsten war es morgens. Mit der Sonne aufstehen, zum Strand laufen, die Treppen runter, erhitzt ins Wasser, schwimmen in der Frühsonne, wieder an Land, abwarten bis Pedersens, die Morgenschwimmer, weg sind und dann Freiheit. Stilles Schwimmen. Ein Meer nur für uns. Manchmal vögelten wir am Strand, dann wieder ins Wasser, schwimmen, an Land, die Treppe hoch und gerade wieder reinkommen, wenn Ebba den Kaffee fertig hat. Eine glückliche Zeit. Ein paar der besten Sommer meines Lebens haben wir hier verbracht. Den letzten Sommer wollten wir eigentlich auch hier verbringen, aber Tess sagte kurzfristig ab. Und jetzt werden wir nie wieder hier stehen. Ein komisches Gefühl. Unwirklich. Ein Lebensabschnitt ist zu Ende. Ich dachte immer, dass wir ... Aber werden wir nicht. Und ich brauche nicht länger darauf zu warten, dass wir werden. Far hat recht. Mir geht es schon lange nicht mehr richtig gut, und unsere Beziehung war mit ein Grund dafür, dass ich wartete. Jetzt wird sich etwas ändern. Der erste Schritt aus der Stagnation ist getan. Hoffentlich beginne ich mich irgendwann auch darüber zu freuen.
Für einen Augenblick schiebt sich eine düstere Wolke näher, doch dann trägt der Wind helle Stimmen und Wortfetzen zu mir. Eine Familie kommt die Treppe herunter, und wenig später toben zwei blonde Kinder mit einem Hund, der das bellend kommentiert, zwischen den Trümmern herum. Vor Jahrzehnten gingen meine Eltern hier genauso entlang, mit Sune und mir und unserem psychopathischen Pudel Le Petit.
Der Mann und die Frau kommen Händchen haltend näher, um sich in den Windschatten des Bunkers zu stellen. Als sie mich im Lee entdecken, grüßen sie lachend – ein guter Tag. Wir reden kurz über das Wetter, bewundern die Energie der tobenden Kinder. Dann schnappe ich mir zwei Steine, verabschiede mich, winke den Kindern und mache mich auf den einhundertsiebenundachtzigstufigen Rückweg.
Als ich ins Haus komme, ist Far gerade wieder auf. Alle kommentieren die Qualität der Steine. Der Ofen knackt. Sune schenkt mir eine Tasse ein, Ebba rückt die guten Kekse raus, ich setze mich in einen bequemen Sessel, und Far wärmt die Geschichte auf, wie er zum ersten und letzten Mal in seinem Leben krankgeschrieben war und Roland ausgerechnet da von dem neuen Abteilungsleiter ein Farbmuster in die Hand gedrückt bekam, um dessen Büro exakt in diesem Ton zu streichen. Während er erzählt, lacht er so, dass man seinen Goldzahn sieht. Anschließend macht er einen Schlenker über die Steuervorteile von Verheirateten, dann landen wir bei Sunes Arbeit. Die Platte kenne ich schon, also gehe ich Holz hacken, um den Vorrat für den Ofen aufzufüllen. Dann wird es Zeit.
In Kopenhagen laden wir den Wagen aus. In der Wohnung gibt es endlich wieder ein Käffchen, dabei schläft Far im Sessel ein. Ich erinnere mich nicht, dass er tagsüber jemals zweimal geschlafen hat, aber wir tun, als wäre nichts. Ich bestelle das Taxi. Ebba weckt Far, und alle bringen mich zur Tür. Ich handele mir noch ein paar Metaphern ein, dann sitze ich im Taxi und mache zum hundertsten Mal gute Miene zum Spiel, während meine Familie im Rückfenster immer kleiner wird.
Kapitel 16
Unter der Hallendecke hängt eine Giftwolke wie nach einem Leck bei Bayer. Frauke und Arne chillen auf der Couch. Sie trägt ihren roten Lieblingspyjama. Er ein
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