Beziehungswaise Roman
St.-Pauli-T-Shirt und eine weite Hose. Der Beistelltisch quillt über vor Chips, Süßigkeiten und Zeitschriften. Auf dem Bildschirm rutscht Robert Shaw gerade auf das weit geöffnete Maul des weißen Hais zu.
»Bin wieder da«, sage ich überflüssigerweise.
Frauke drückt auf die Fernbedienung. Beide drehen sich um und schauen mich an. Hinter ihnen balanciert Robert auf der Haischnauze.
»Meinem Vater geht’s gut.«
»Ah, gut«, sagt Frauke erleichtert.
»Im Kühlschrank ist Bier für dich«, sagt Arne.
Er betont Bier , wie Mayer-Vorfelder Fanta sagen würde, aber die Geste zählt.
Frauke klopft neben sich auf die Couch.
»Komm, du darfst die Filme mit aussuchen. Als Komödie haben wir Chasing Amy oder Familienfest , als Drama Mystic River oder Die letzte Kriegerin und als Horror 28 Tage später oder Kramer gegen Kramer .«
Ich hebe die Augenbrauen.
»Kramer gegen Kramer?«
Arne legt den Kopf schräg.
»Da spielt Meryl Streep mit.«
Frauke kichert bekifft, rutscht in den Schneidersitz undbeginnt sich die nächste Tüte zu drehen. Dann hebt sie den Kopf.
»Tess hat angerufen. Und deine Agentur hat auf den AB gesprochen.«
»O.k. Ich komme gleich.«
Sie drückt auf die Fernbedienung und verfüttert Robert an den weißen Hai. Ich hänge meinen Mantel an die Leiter und gehe ins Arbeitszimmer, um Far mitzuteilen, dass ich angekommen bin. Eltern brauchen das. Danach rufe ich Tess auf ihrem Handy an, um ihr zu sagen, dass es Far gut geht. Mailbox. Ich rufe in ihrem Hotelzimmer an. Sie geht nicht ran. Das braucht der Ex gerade nicht. Sofort habe ich Bilder davon, wie sie unter einem anderen liegt. Gott, was mache ich eigentlich, wenn sie irgendwann einen anderen liebt? Dass sie Sex braucht, o.k., ich bin der Letzte, der dafür kein Verständnis hat, bald werde ich einfach explodieren, aber die Vorstellung, dass mein Mädchen sich einem anderen hingibt als mir... Prima. Ich werde eifersüchtig. Irgendwie hatte ich mir das Singleleben anders vorgestellt. Hallooo! Sie ist nicht mehr dein Mädchen! Sie kann machen, was sie will! Du übrigens auch! Ihr seid wieder frei, undfrei sein bedeutet ungebunden sein, und das bedeutet: Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß!
Ich drücke auf den AB. Clemens’ ölige Stimme erfüllt den Raum. Er meint, mein Auftritt sei ordentlich gewesen, aber am Montag soll ich doch bitte ein Pfund drauflegen. Es ist live, es ist ausverkauft, es ist Karneval, alle werden besoffen sein, also bräuchte ich einen provokanten Text, am besten mit Ficken drin. Er legt auf. Motivationskünstler.
Ich gehe in die Halle, hole ein Bier aus dem Kühlschrank und haue mich neben Arne auf die Couch. Nach einer kurzen Debatte entscheiden wir uns für Familienfest , weil Arne ChasingAmy sexistisch findet. Ich erkläre ihm gerade, dass er mittlerweile schon einen Händedruck als sexuelleBelästigung empfinden würde, als Tess im Arbeitszimmer auf den Anrufbeantworter spricht, also gehe ich hin und erzähle ihr, wie es Far geht. Sie ist froh, dass nichts Schlimmes ist. Ich bin froh, dass sie nur beim Abendessen war. Sie fragt, wie die Alten die Trennung aufgenommen haben. Ich sage, gar nicht, weil ich es nicht erwähnt habe. Sie sagt aha. Wir albern ein bisschen herum, weil wir in einem anderen Land noch zusammen sind. Dann wird sie ruhiger, darum erzähle ich ihr von dem Casting, und vielleicht übertreibe ich ein bisschen, weil ich weiß, dass sie es mag, wenn ich das habe, was sie unter Erfolg versteht. Ich ertappe mich beim Angeben. Herrje, was mache ich hier? Versuche ich gerade meiner Ex zu imponieren oder was? Und es funktioniert. Sie sagt, dass sie stolz auf mich ist, und das tut gut. Wirklich gut. Viel besser, als ich gedacht hatte. Das Gefühl erinnert mich an die Zeiten, als ich selbst stolz auf mich war. Lange her.
Sie dagegen hatte nicht ihr größtes Wochenende mit dem Workshop. Von Freitagmittag bis heute Abend hat sie Wirtschaftsmanagern erklärt, wieso freundliche Umgangsformen keinen Autoritätsverlust bedeuten und wie sie ihre Rhetorik als Sender und Empfänger optimieren können. Die Hälfte der Teilnehmer nahm ihre Ausführungen desinteressiert zur Kenntnis, die andere Hälfte benutzte den rhetorischen Zugewinn für den Versuch, sie ins Bett zu kriegen. Und da liegt sie jetzt und sagt mir, wie gerne sie bei mir wäre. Ich sage ihr, wie sehr sie mir fehlt. Sie sagt, dass sie immer noch nicht weiß, ob sie am Wochenende freibekommt. Ich sage, ich hoffe es. Sie sagt, dass der Urlaub
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