Beziehungswaise Roman
viel zu viele Pläne, in denen ein Kind keinen Platz hatte. Dazu kam, dass ich gerade das Pfeiffer’sche Drüsenfieber gehabt hatte und Tess damals noch rauchte und und und ... Im Nachhinein sieht es so aus, als hätten wir Gründe gesucht, es nicht zu kriegen. Vielleicht ist das so. Wir beschlossen, dass der Zeitpunkt nicht passte und das gesundheitliche Risiko zu hoch wäre. Wir verschoben es auf später. Auf nie wieder. Das war unsere Chance für Familie. Manchmal gibt es nur eine.
Auf Monas Wangen glitzern Tränen. Sie zieht die Nase hoch und atmet gepresst.
»Warum erzählst du mir das? Willst du mir Angst machen? Danke, die hab ich schon.«
Jetzt bin ich es, der sich vorbeugt und meine Hand auf ihre legt.
»Ich will dir keine Angst machen. Ich will auch nicht sagen, dass es für Tess und mich die falsche Entscheidung war. Ich möchte bloß, dass du weißt, dass es keine optimale Situation gibt. Wenn du dich fragst, ob du schon so weit bist, wird die Antwort fast immer Nein sein, irgendwas gibt es immer vorher noch zu erledigen, zu erleben, umzusetzen,zu erreichen. Es gibt ganz wenige richtige Zeitpunkte. Die entstehen meistens durch Taten, wie zum Beispiel Ja sagen.«
Sie schaut mich mit nassen Augen an.
»Das hört sich total rational an, Glück durch Beschluss ... Man kann doch nicht einfach beschließen ...«
»O doch. Und wie man das kann. Tess und ich haben damals Nein gesagt, und das war richtig, weil wir es so fühlten. Doch wenn wir zu dem Baby Ja gesagt hätten, wäre es auch richtig gewesen, das weiß ich heute. Wir wären klargekommen.«
»Also war es jetzt falsch abzutreiben?«
Ich schüttele den Kopf.
»Es gibt da kein richtiges Richtig oder falsches Falsch, es gibt bloß Entscheidungen. Du bist schwanger und liebst deinen Kerl. Ihr lebt und arbeitet zusammen, und ob er der Richtige ist, scheinst du nicht zu hinterfragen, also ist diese Entscheidung schon gefallen. Jetzt musst du nur noch entscheiden, ob du abtreiben willst. Wenn nicht, musst du entscheiden, ob du eine glückliche Mama werden willst oder eine unglückliche.«
Sie mustert mich. Dann verändert sich ihr Blick, bis sie durch mich hindurchsieht. Ihr Mittelfinger fährt über die Tassenkante. Sie atmet ruhig. Ich leere meine Tasse und denke daran, dass Tess und ich nie wussten, was wir zusammen wollten, immer nur, was jeder von uns einzeln erreichen wollte. Wir hatten immer Pläne, bei denen wir uns unterstützt haben. Aber keine gemeinsamen. So gesehen haben wir bekommen, was wir wollten.
Monas Blick kehrt wieder aus ihrem Kosmos zurück. Sie mustert mich dunkel.
»Schlafe ich hier?«
»Ja.«
»Nein, ich meine, ist es dir recht?«
»Ja. «
Sie dreht ihre Hand mit der Handfläche nach oben. Ich lege meine Hand auf ihre. Unsere Finger umschließen sich.
Als ihre Atemzüge tief und regelmäßig werden, rolle ich mich aus dem Bett, nehme meine Kleidung in die Hand und gehe raus in die Halle. Ich schlüpfe in Hose, Shirt, Pulli und Schuhe, setze mich auf die Couch und stütze meinen Kopf in die Hände. Meine Brust schmerzt. Tess fehlt mir. In jeder Faser. In jeder Synapse. In jedem Nerv. Wenn ich schwach wäre, würde ich jetzt ins Arbeitszimmer gehen und sie anrufen. Drauf pfeifen, dass sie in vier Stunden aufstehen muss. Drauf pfeifen, dass Mona vielleicht währenddessen hereinkommt und Tess mitbekommt, dass ich mit einer anderen hier bin. Einfach drauf pfeifen. Ich mache es nicht. Ich bin ja so verdammt stark.
Ich stehe auf, knipse den Wasserkocher an und befreie die Leiter von den Mänteln. Ich hänge mir den dicksten über, gieße kochendes Wasser in die Tasse mit dem Teebeutel und kraksele die Leiter hoch bis zur Luke. Sie war seit Herbst nicht mehr offen, und ich muss meine ganze Kraft aufwenden, bevor sie nachgibt, doch einmal in Schwung, gleitet sie auf und gibt den Weg frei auf die Dachterrasse. Die kalte Luft sticht auf der Haut und in der Lunge. Atem steht vor meinem Mund. Im Sommer schlafe ich oft hier oben. Ich liebe es, wie der Anfang eines Sommertages klingt. Außer Schwalben und Geschirrgeräuschen aus offenen Küchenfenstern der Frühaufsteher hört man nichts. Keine Autos, keine Züge, nichts. Auch jetzt ist nichts zu hören. Bei dem Sauwetter hält sich niemand draußen auf. Nur ich. Und die verdammte Katze. In den Schneeresten auf dem Dach zeichnen sich ihre Fußspuren deutlich ab. In einer Ecke ist ein gelber Fleck. Eines Tages gehe ich rüber und pinkle in ihr Katzenklo.
Ich ziehe den Mantel
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