Beziehungswaise Roman
enger, nippe an dem Tee, der schneller abkühlt, als ich mich verbrennen kann, schaue in den Himmel, mustere vereinzelte Sterne, die schwarz umrahmt durch Wolkenlöcher funkeln, und warte auf eine Eingebung. Außer dass mir kalt wird, passiert nichts. Was ist bloß mit meinem Leben passiert? Ich bin klüger als früher und kenne mich besser, dennoch habe ich das Gefühl, es würde an mir vorbeiziehen. Ich komme nicht an mich heran. Als würde mein Ruder klemmen. Ich lenke, doch die Richtung verändert sich nicht. Vielleicht hat Far recht, und ich muss einfach mal wieder etwas tun, worauf ich Lust habe. Selim Özdogan hat mal geschrieben: Es ist keine Kunst zu wissen, wann man glücklich war – aber wann man es ist. In letzter Zeit war mir ganz bewusst, dass ich unglücklich war. Ich dachte, es sei wegen Tess und unserer Beziehung. Ich dachte, alles ändert sich, wenn wir uns trennen. Aber es ändert sich nichts. Ich bin enttäuscht.
Ich muss lachen. Das Geräusch erstarrt in der eisigen Luft. Gott, Liebling, wir müssen reden, ich bin nicht zufrieden mit dem Ende unserer Beziehung, es muss sich da was ändern ... Verrückt. Wir sind alle verrückt, doch jeder von uns hält den anderen für irre und sich selbst für normal. Ich trenne mich von dem Mädchen, das ich liebe, und nach zwei Jahren ohne Sex liege ich endlich wieder ohne Schuldgefühle neben einer Frau im Bett – und schlafe nicht mit ihr, weil ich keinen hochkriege. Und warum nicht? Weil ich immer noch am liebsten mit meiner Ex schlafen würde. Aber mit Tess werde ich nie wieder schlafen. Ich weiß es. Verrückt.
Arne kommt nach Hause. Geräuschlos. Man merkt es nur an dem leichten Klappern der Lukendichtungen, als er die Außentür der Halle öffnet. Gott, das hier ist die WG der Sexlosen. Arne hat seit Jahren keine Frau mehr mitgebracht und wird es vielleicht auch nie wieder, denn in seiner letztenBeziehung ging sie fremd, und er brach ihr im Suff den Kiefer. Das ist jetzt neun Jahre her. Seitdem trinkt er nicht mehr und trainiert seine Selbstkontrolle. Er hat sich das noch nicht verziehen, und ich weiß, dass es seine größte Angst ist, noch mal jemanden zu verletzen, den er liebt. Darum kann ich mir so viel rausnehmen. Und ich nehme mir viel raus. Ich ... weiß nicht. Ich verletze Menschen, die ich liebe. Ich beleidige sie. Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist. Früher war ich nicht so, oder? Ist es einfach so, dass die Gesamtsituation auf alles abfärbt? Ist alles schuld? Mir rauscht der Kopf. Ich weiß nicht mehr, was gut ist. Es ist alles so kompliziert geworden. Ich bin müde.
Fars Leitsatz fällt mir ein: Nie über Probleme nachdenken, wenn es dunkel ist. Er macht die Dinge immer einfach. Das gefällt mir. Wie konnte es eigentlich jemals ein Vorwurf werden, es sich leicht zu machen? Ist es besser, es sich schwer zu machen? Genau. Ich muss einfach wieder einfache Dinge tun. Dinge, die mich einfach glücklich machen. Prima. Da fange ich gleich mit an, sobald ich die nächsten einhundertdreiundzwanzig Tage auf der MS Horrortrip überlebt habe. Monate, in denen ich, außer an manchen Wochenenden, keine Menschen sehe, die ich liebe. Herrje, kein Wunder, dass ich in den letzten Jahren scheiße drauf war, was habe ich denn erwartet? Dass ich jahrelang Dinge tue, die mich ankotzen, und ich so glücklich werde? Nein. Far hat recht. Ich muss es wieder einfach halten. Mach Dinge, die guttun. So einfach ist das. Genau. Hab ein bisschen Erfolg, schlaf mit einer guten Frau, lach mit deinen Freunden. Ja.
Unten kommt Frauke in den Hof gepoltert. Ihr Fahrrad klappert metallisch gegen das Hallentor, doch als sie die Halle betritt, lässt sie das Licht aus, versucht leise zu sein und rennt irgendwas um. Fluchend poltert sie zu ihrem Zimmer und schlägt die Tür zu.
Meine Tasse ist fast leer. Mir ist kalt. Am Horizont färbt sich der Himmel eine Winzigkeit heller, nicht so schön wie im Sommer, aber dennoch schön. Ich nehme den letzten Schluck und bleibe stehen. Je heller es wird, desto leichter fühle ich mich. Die Ökodroge Übermüdung ist eine gute. Ich fühle mich müde und wach zugleich. Wann habe ich überhaupt zuletzt eine Nacht durchgemacht? Einfach so, ohne Grund? Also mit Grund, aber ohne Anlass?
Als ich die Leiter herunterklettere, nehme ich mir vor, es mir in Zukunft leichter zu machen. Super. Jetzt kann es losgehen.
Kapitel 21
Kaltes Licht. Warmes Bett. Warmer Körper. Vom Blues der Nacht ist nichts zu spüren, ich fühle mich wohl.
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