Beziehungswaise Roman
schnell die Schachtel in meine Tasche. Ebba schaut mich an, sagt aber nichts. Wir trinken Käffchen und warten auf die Visite. Die nicht kommt. Ebba tut der Rücken weh, sie kann kaum noch sitzen. Sune behält den Gang im Auge. Ihr Blick wird stechender. Ich gehe besser los, bevor sie den nächstbesten Kittel massakriert.
Auch eine Visite muss irgendwo ihren Ursprung haben, also versuche ich, ihr entgegenzugehen, und arbeite michden Gang hinunter. In den Zimmern liegen einsame Menschen. Es trifft einen ins Herz, sie so daliegen zu sehen, ohne jemanden an ihrer Seite, ohne Lebensgeräusche, ohne Swing – aber es ist ja auch keine Besuchszeit, wie mir jede zweite Schwester erklärt. Leider kann mir keiner erklären, wo die Visite ist, also ziehe ich weiter. Zimmer für Zimmer. Gang für Gang.
Auf der Suche treffe ich ein paar andere Angehörige, die ebenfalls herumirren und versuchen, irgendwas in Erfahrung zu bringen. Und schließlich treffe ich tatsächlich ein paar Ärzte. Außer Aufdie Visite warten und Keine Besuchszeit bringe ich nichts in Erfahrung. Wenn die wüssten, dass Sune hinten im Gang schon in Stellung geht, wären sie vielleicht auskunftsfreudiger, aber so nerve ich sie nur bei der Arbeit.
Als ich die Station durchhabe und kurz davor bin, umzukehren, werde ich von einem freundlichen Dreadlocks-Zivi zu einem Büro geschickt. Ich klopfe an und trete ein. Ein Arzt um die fünfzig sitzt an seinem Schreibtisch und liest Politiken . Hinter ihm hängt ein Kunstdruck von Chagall. Daneben zwei Kinderzeichnungen in ebenso kräftigen Farben.
Er hebt den Kopf und mustert mich überrascht.
»Kann ich dir helfen?«
Für einen Moment überrascht mich das dänische Du wieder mal. Erst recht von einem Arzt.
»Das wäre schön«, sage ich endlich und setze mich in den Besucherstuhl.
Ich nenne ihm meinen Namen, den Namen des Patienten und schildere ihm die Lage. Er lehnt sich in seinem Ledersessel zurück und hört sich alles an. Wenn er gleich Visite sagt, zeige ich Sune, wo sein Auto steht.
Als ich zu Ende erklärt habe, schüttelt er bedauernd den Kopf. Aus Datenschutzgründen kann er mir keine Auskunftgeben, es könnte ja sonst jeder kommen. Also bitte ich ihn um einen Tipp, wieso Far umkippt. Er schüttelt den Kopf. Ohne den Patienten zu sehen, kann er das nicht beurteilen. Also bitte ich ihn, mitzukommen und sich Far anzuschauen. Er schüttelt den Kopf. Ist nicht sein Zuständigkeitsbereich. Also zeige ich ihm die Tablettenpackung. Er richtet sich auf, wirft einen Blick auf die Packung, lehnt sich wieder ins Leder zurück und schaut unschlüssig drein. Das sind starke Tabletten. Die soll man nicht zu lange nehmen. Wie sie wirken, kommt auf den Patienten und die Diagnose an. Ich bitte ihn noch mal, Fars Namen in seinen Computer einzutippen und uns seine Werte zu nennen. Er schüttelt den Kopf und bedauert. Datenschutz. Ich frage mich, ob ich sein Gesicht ein paarmal gegen die Holzvertäfelung rammen soll. Dann wünsche ich ihm einen schönen Tag und stehe auf. Er sagt, es täte ihm leid. Ich versichere ihm, mir auch, und bevor ich raus bin, liest er schon wieder. Dann stehe ich im Gang. Ich fühle mich blöde. Vielleicht ist ja die Visite längst da. Vielleicht aber auch nicht, und ich kann nicht mit leeren Händen zurückkommen.
Im übernächsten Zimmer werde ich fündig: Zwei Pfleger hieven einen Patienten vom Bett auf ein Rollbett. Der Zivi zieht bereits das Bett ab. Ich gehe wieder raus, bevor die Pfleger mich sehen. Wenig später rollen sie den Patienten den Gang hinunter. Ich warte. Nach ein paar Minuten kommt der Zivi aus dem Zimmer. Ich winke. Er wird aufmerksam und kommt näher.
»Und, konnte er dir helfen?«
»Nicht wirklich. Hör mal, mein Vater ist umgekippt und hat sich den Kopf aufgeschlagen. Sie haben ihm Blut abgenommen, und jetzt warten wir seit Tagen auf die Werte. Sobald ich die Werte habe, wissen wir, was los ist, und können endlich wieder nach Hause.«
»Du musst einen Arzt fragen.«
»Habe ich schon«, sage ich, »aber die wissen scheinbar nicht, wer zuständig ist, und während sie das ausdiskutieren, liegt mein Vater hier, ohne zu wissen, warum.« Ich lege eine kurze Pause ein, um die nächsten Worte zu betonen. »Was würdest du tun, wenn dein Vater hier liegen würde?«
Er schaut in meine Augen, dann schüttelt er den Kopf, die Dreads schwingen im Takt.
»Mann, ich bin bloß der Zivi.«
»Ich weiß«, nicke ich, »darum traue ich dir ja. Warte ...« Ich drehe mich so, dass
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