Beziehungswaise Roman
sagt Sune und hat wieder diesen Blick.
»Lass uns die Visite abwarten.«
Sie schüttelt den Kopf.
»Egal, was die sagen, er bleibt nicht hier. Verstehst du?«
»Ja, ich verstehe. Lass uns trotzdem bitte die Visite abwarten«, sage ich und breite meinen linken Arm aus.
Sie kuschelt sich nicht rein. Ohne die Rückenlehne zu berühren, sitzt sie da und schaut den Gang hinunter, bereit, aus den Blöcken zu gehen, wenn sich irgendein Kittel zeigen sollte. Ich streichele ihren verspannten Rücken und versuche das Bild von Fars Augen zu verdrängen.
Während wir warten, wacht das Krankenhaus auf. Ebba wird ebenfalls wach. Wir setzen uns an den Plastiktisch, trinken Käffchen aus der Thermoskanne und schauen uns den Betrieb an. Auch wenn jetzt mehr Leben in den Gängen herrscht, reicht es nicht aus, um die Depression zu verscheuchen, die wie Kleber in der Luft hängt. In den Zimmern wird leise geredet. Die Vorbeigehenden unterhalten sich gedämpft. Die ersten normalen Stimmen hören wir, als zwei laut quatschende Pfleger ein Bett vorbeischieben, in dem das Betttuch über das Gesicht des Patienten gezogen ist. Man merkt nirgends, dass hier Menschen geholfen wird. Keinerlei Freude, Dankbarkeit oder Erleichterung. Es sollte doch genau andersherum sein. Dankbarkeit und Freude für einen Ort, an dem einem geholfen wird. Vielleicht sollte Sune jeden Morgen ihre Kids hier durchjagen. Ein Haufen schreiender Kinder hellt jede Aura auf.
Die Thermoskanne ist leer. Sune verschwindet den Gang herunter, um sie in der Cafeteria nachzufüllen. Als sie weg ist, zeige ich Ebba die Tabletten, die ich von Fars Nachttisch stibitzt habe.
»Sagen die dir was?«
Sie kneift die Augen zusammen, greift dann in ihre Handtasche und holt ihr Brillenetui heraus. Sie setzt ihre Brille auf, mustert die Tabletten und schüttelt den Kopf.
»Das sind nicht die, die er sonst nimmt.«
Ich schaue sie an.
»Sonst.«
Sie bemerkt den Fauxpas und schaut verlegen zur Seite.
»Hast du sie dabei?«, frage ich.
Sie zögert einen Augenblick, dann kramt sie eine Packung aus ihrer Handtasche hervor. Ich schaue mir die Packung und den Namen an, was bei einem, der keine Ahnung hat, wirklich weiterhilft, also ziehe ich die Packungsbeilage heraus. Schmerztabletten. Ziemlich starke. Ziemlich viele Nebenwirkungen.
»Und wie lange nimmt er die schon?«
Sie lächelt kummervoll.
»Eine Zeit.«
Ich hebe die Augenbrauen.
»Ein paar Jahre«, sagt sie.
Ich blinzele. Sie lächelt entschuldigend und macht eine fahrige Handbewegung.
»Er wollte nicht, dass es jemand erfährt. Du weißt ja, wie er ist.«
Ich mustere die Tablettenpackung noch mal. Ein paar Jahre auf diesem Zeug. Herrgott, da braucht man ja Medizin gegen die Nebenwirkungen.
Ebba nimmt die Brille ab und fährt sich mit der Hand über die Augen.
»Er hatte Schmerzen. Manchmal musste er sich einfach hinlegen, egal wo, bis die Schmerzen etwas nachließen, und ich konnte ihm nicht helfen. Ich konnte ihm nicht helfen ...«
»Schmerzen«, sage ich.
»Bauchschmerzen«, sagt sie und wischt sich noch mal über die Augen.
Ich lege meine Hand auf ihre.
»Er hat seit Jahren Bauchschmerzen und nimmt diese Dinger dagegen?«
Sie nickt, zieht ihre Hand weg und wendet sich etwas ab. Sie holt ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und schnäuzt sich vorsichtig.
»Wart ihr nicht beim Arzt?«
Sie wischt sich die Nase sorgsam ab, faltet das Taschentuch zusammen und steckt es wieder in die Handtasche. Sie wendet sich mir zu und nickt.
»Doch, natürlich, sein Hausarzt hat die Tabletten verschrieben.«
»Aufgrund welcher Diagnose?«
Sie zieht die Schultern hoch.
»Die kennen sich seit vierzig Jahren. Far hat sein Haus gestrichen.«
Ich starre sie an. Prima, echt, toll.
»Far nimmt also seit Jahren diese Hammertabletten, und sein verblödeter Hausarzt sagt noch nicht mal, warum? Sune bringt ihn um!«
Sie zieht die Schultern an.
»Du weißt doch, wie sehr er Ärzten misstraut, und vor dem Krankenhaus hat er Angst, und jetzt liegt er da drin ...«
Sie verstummt und wirft einen Blick zur Tür. Ich mustere die Schachtel. Vielleicht kippt er wegen dieser Dinger um. Ich muss ein paar Takte mit seinem Hausarzt reden. Irgendwas wird er sich dabei gedacht haben. Hoffe ich. Bei Ärzten bin ich mir nie ganz sicher, wann sie dem Schmiergeld der Pharmaindustrie verfallen.
Sune kommt den Gang entlang. Sie trägt die Thermoskanne und wirft Blicke in jede offene Tür, ob sie jemanden zum Fertigmachen findet. Ich stecke
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