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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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aber er hängt wirklich in den Seilen. Als hätte der Krankenhausaufenthalt die Kraft aus seinem Körper absorbiert. Schließlich kreuzen Sune und ich unsere Hände, er setzt sich drauf, und wir tragen ihn die Treppen hoch. Das ist ihm ein bisschen peinlich, aber nicht so peinlich, dass er vergisst, ein paar Sprüche loszulassen. Wir laden ihn direkt im Schlafzimmer am Bett ab, und wo wir schon dabei sind, holen wir auch gleich Ebba. Als wir endlich alle vier in der Wohnung sind, schläft Far schon. Ebba verschwindet ins Bad, und Sune scheucht mich wieder die Treppen runter, damit ich sie zum Kindergarten bringe. Siehat immer noch keinen Führerschein. Wozu auch? Bei den Autopreisen in Dänemark weiß sie jetzt schon, dass sie sich nie eines leisten wird.
    Wir fahren schweigend. Ein merkwürdiges Gefühl, ohne Far in seinem Wagen zu sein. Sune schaut aus dem Fenster. Seit zwei Kilometern kratzt sie an ihrer Nase herum.
    »Hör auf zu popeln.«
    »Ich popele nicht«, sagt sie automatisch.
    »Und was macht der Finger in deiner Nase?«
    »Hm ...«, macht sie und schaut weiter in die Ferne.
    »Du sagst einfach Bescheid, wenn du nicht reden willst, ja?«
    Darauf antwortet sie gar nicht. Während ich mich frage, worüber sie so angestrengt nachdenkt, fällt mir auf, dass ich heute noch nicht an Tess gedacht habe.
    Vor dem Kindergarten halte ich an und suche einen Parkplatz. Sune sagt, dass ich sie einfach rausschmeißen soll und sie später nicht abzuholen brauche. Sie will nach der Arbeit direkt zu Far kommen. Sie küsst mich, eilt über die Straße auf ein buntes Tor zu, öffnet es, und dann hört man von drinnen Kinderstimmen begeistert aufschreien. Nicht das Schlimmste, was einem nach einer Krankenhausnacht zustoßen kann.
     
    Die Wohnung ist ruhig und die Schlafzimmertür geschlossen. Ich setzte ein Käffchen in der Küche auf, gehe ins Wohnzimmer, setze mich auf den Schemel und wähle ihre Nummer. Die Wählschreibe klackert wie ein Glücksrad auf der Kirmes.
    »Krytowski. «
    »Ich bin’s.«
    »Liebster! Schön, dass du anrufst!« Ihre Stimme klingt überrascht, erfreut und zärtlich. »Wir sehen uns am Samstag.«
    Sie klingt so erfreut, dass mein Herz hüpft.
    »Ist ja ein Ding«, sage ich und das ist es wirklich. Scheinbar muss man sich einfach trennen, um sich mehr zu sehen. »Weißt du, was schön wäre?«, flüstert sie. »Wenn wir einfach wieder in Urlaub fahren könnten. Hier geht es drunter und drüber. Die nerven !«
    Ich lächele. Schön zu hören. In mir lauert noch immer eine schwachsinnige Hoffnung, dass sie plötzlich einen Karrierekoller bekommt und kündigt. Prima. Werd bloß nicht erwachsen, Junge.
    »Warte bitte einen Augenblick ...«, sagt sie.
    Im Hintergrund lacht eine Männerstimme. Mein Lächeln verschwindet. Wieder verändern sich die Hintergrundgeräusche. Eine Tür klappt, der Raumklang verdichtet sich. Als sie weiterspricht, redet sie normal.
    »Heute ist eine chinesische Delegation hier, und ausgerechnet dann ist mein Konferenzraum nicht frei, und jetzt stehe ich mit sechzehn Teilnehmern ohne Raum da und muss improvisieren. Wir sind gerade dabei, ein Hotel zu buchen.«
    »Weißt ja, Gesicht verloren, Harakiri.«
    »Das ist japanisch.«
    »Süße, hör mal, ich bin in Kopenhagen. Far ist wieder umgekippt, aber er ist zu Hause. Die Ärzte wissen noch nichts, wir warten auf die Diagnose.«
    Es wird still im Hörer. Dann atmet sie durch.
    »Er fällt wahrscheinlich nicht grundlos um.«
    »Nein.«
    »Und was glaubst du?«
    »Ich weiß es nicht. Übermorgen haben wir einen Termin bei dem zuständigen Arzt.«
    Als sie spricht, klingt ihre Stimme bedrückt.
    »Ich wäre jetzt so gerne bei dir.«
    »Das wäre schön.«
    »Ja.«
    »Ja.«
    Wir schweigen ein bisschen. Dann öffnet sich eine Tür im Hintergrund, und jemand ruft sie beim Vornamen. Eine weitere Männerstimme. Tess nimmt mir das Versprechen ab, mich sofort zu melden, wenn es Neues gibt, küsst in den Hörer, dann legen wir auf, und ich merke, dass ich die ganze Zeit meine Muskeln angespannt habe. Ich schaue aus dem Fenster, sehe den Möwen beim Streiten zu, esse ein paar Lakritz, dann gehe ich in die Küche, fülle die Thermoskanne, decke den Kaffeetisch, setze mich in Fars Ledersessel und schaue mich um. Die Kinderwand. Die afrikanischen Statuen. Die Gemälde. Die vergoldete Bibel, anhand deren Far uns zu Atheisten erzog. Die beste, epochale Kurzgeschichtenanthologie über die menschliche Natur, wie er sie nannte. Er las daraus vor,

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