Bianca Arztroman Band 0031
Krankenhauses war es Kate tatsächlich gelungen, Eindruck auf ihren Bruder zu machen. Andrew hatte schon immer eine Schwäche für berühmte Namen. Seitdem er ins Wertpapiergeschäft eingestiegen war, war es damit eher noch schlimmer geworden.
“Was fehlt der Tochter von diesem Dr. Flett denn?”, erkundigte er sich. Es klang fast versöhnlich.
“Sie hat Mukoviszidose.”
Andrew runzelte die Stirn. “Und was heißt das? Ist das nicht so eine Lungenkrankheit?”
“Die Ursache ist eine erbliche Fehlfunktion der Drüsen, die dazu führt, dass die natürlichen Schleimabsonderungen des Körpers viel zäher sind als normal, und das kann besonders für die Lunge und die Bauchspeicheldrüse gefährlich sein. Patienten, die daran erkrankt sind, brauchen ständig Physiotherapie und Medikamente.”
Andrew stöhnte auf. “Also doch ein Pflegefall”, unterbrach er Kate. “Meine Güte, hast du mit Simon vor zwei Jahren nicht genug durchgemacht? Musst du dir so einen Job wirklich noch antun?”
Andrews letzte Bemerkung gab Kate einen Stich. Zwei Jahre war Simons Tod jetzt schon her? Sie schluckte die Tränen hinunter, die ihr immer noch in die Augen traten, wenn sie an den Tod ihres Mannes dachte. “Irgendetwas muss ich ja arbeiten”, erwiderte sie schließlich.
“Hätte Simon auf mich gehört und eine Lebensversicherung abgeschlossen, als ihr geheiratet habt, hättest du das jetzt nicht nötig”, erklärte Andrew und winkte dabei den Ober heran. “Es geht dir finanziell im Augenblick nicht so rosig, stimmt’s?”
Es stimmte. Aber wenn schon. Sie hatte damals keinen Augenblick gezögert, ihre Stelle im Birnham-Hospital aufzugeben, um Simon zu Hause zu pflegen, als das nötig wurde. Aber dadurch saß sie jetzt tatsächlich auf einem Haufen Schulden, der sich dann rasch angesammelt hatte. Trotzdem hätte Kate sich lieber die Zunge abgebissen, als ihrem Bruder das zu erzählen.
“Halb so schlimm”, schwindelte sie. “Außerdem liebe ich meinen Beruf.”
“Und warum gehst du dann nicht zurück ins Birnham-Hospital?”, hakte Andrew nach. “Das hättest du nach Simons Tod sowieso machen sollen, anstatt diese ganzen Aushilfsjobs anzunehmen. Das habe ich nie verstanden.”
Das wirst du auch nie begreifen, dachte Kate bei sich, während sie sich über Andrews Selbstgerechtigkeit ärgerte. Wer überhaupt konnte nachempfinden, was es für sie bedeutete, das Krankenhaus auch nur von Weitem zu sehen und an den Tag erinnert zu werden, an dem dort bei Simon Leukämie diagnostiziert wurde?
“Ich glaube, ein Ortswechsel würde mir gut tun”, brachte sie mit Mühe heraus.
“Phyllis hat mir erzählt, dass du diesen Ethan Flett noch nicht einmal selbst zu Gesicht bekommen hast… ihr habt das Ganze wirklich nur am Telefon besprochen?”
“Dr. Flett schreibt, seitdem er nicht mehr praktiziert, medizinische Bücher und verlässt nur ungern sein Haus …”
“Und seine Frau?”, funkte Andrew dazwischen. “Verlässt sie auch nur ungern das Haus?”
Kate rückte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Andrew konnte nur in zwei Tonlagen sprechen, laut oder schrill … im Augenblick war er bei schrill, und es war für die Gäste um sie herum unmöglich, ihn zu überhören.
“Seine Frau lebt nicht mehr”, sagte Kate leise.
Andrew runzelte die Stirn. “Er hat sich aus dem aktiven Berufsleben zurückgezogen, ist Witwer … wie alt ist seine Tochter eigentlich?”
“Vierzehn.”
Er verdrehte die Augen. “Ich hab so etwas geahnt. Mit anderen Worten: Der gute Mann hat spät geheiratet. Jetzt, wo seine Tochter in ein schwieriges Alter kommt, braucht er jemanden, der sie in Schach hält, weil er das selber nicht mehr kann.”
“Das glaube ich nicht”, protestierte Kate und wunderte sich insgeheim selbst darüber, dass sie sich so sehr für jemanden ins Zeug legte, den sie nicht einmal kannte. “Am Telefon klang Dr. Flett jedenfalls sehr angenehm.” Den Eindruck hatte sie tatsächlich gewonnen. Sie stellte sich einen gemütlichen Mann weit in den Sechzigern vor, mit einem Bauchansatz und allmählich sich lichtendem Haar, der dicke Pullover und ausgebeulte Cordhosen trug und sonnabends zum Golf ging.
Mochte Andrew noch so sehr den großen Bruder herauskehren. Sie war neunundzwanzig Jahre alt und ihr eigener Herr. In fünf Tagen würde sie in Northumberland sein. Und da brauchte sie sich seine klugen Ratschläge nicht mehr anzuhören.
Das Taxi hatte sie vor der großen Freitreppe von Malden Manor abgesetzt. Kate
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