Bianca Arztroman Band 0031
Tag.”
John sah sie erstaunt an. “Wirklich? Wo bist du gewesen?”
“Ich war an Wilfred Grenfells Grabstätte.”
“Ah, natürlich. Bei deinem Vorbild, nicht wahr?”
Sie nickte. “Und danach hat man mich durch sein Haus geführt.”
“Richtig, man kann dort Rundgänge machen. Ich erinnere mich noch daran, dass Debbie und ich uns einmal einer Führung angeschlossen haben, als wir das erste Mal in St. Anthony waren.”
“Dieses war eher eine spontane Führung.”
John blickte von seinem Teller auf, und Richard fragte: “Was meinst du mit ‘spontan’, Zannah?”
“Das heißt, dass es nicht geplant war”, erklärte sie. “Ich habe mich in dem Moment dazu entschlossen … hm … mit einem Mann, den ich oben auf dem Berg getroffen habe.”
“Du meinst mit einem Fremden?” Ihr Bruder verschluckte beinahe das Essen.
“Jetzt nicht mehr”, erklärte sie und wunderte sich darüber, wie viel Freude es ihr bereitete, das zu sagen.
“Sein Name ist Lafe Hilliard. Und nun rate, was er von Beruf ist!”
“Du musst mir nicht erzählen, wer Lafe Hilliard ist”, bemerkte ihr immer noch erstaunter Bruder. “Er ist der Sohn einer der ältesten Familien hier in St. Anthony. Und mittlerweile ist er der Letzte seiner Familie.”
“Du meinst, alle seine Verwandten sind tot?”
“Ja.”
“Hat er denn keine eigenen Kinder, die seinen Namen weitertragen werden?”
“Nein, jedenfalls nicht offiziell. Seine Rückkehr wurde vor Kurzem in der Lokalzeitung angekündigt.”
“Wo war er denn?”, fragte Suzannah.
“Dieser Mann hat die letzten zwei Jahre in der Arktis auf einer Forschungsstation für globale Klimaerwärmung als Arzt gearbeitet. Er ist zurückgekommen, weil sein Vater verstorben ist.”
Jetzt war es Suzannah, die vor Staunen die Augen aufriss. Da war es kein Wunder, dass Lafe den milden Herbsttag und die Aussicht genoss. In der Arktis gab es nicht mehr zu sehen als Schnee und noch mal Schnee. Ein Arzt im ewigen Eis. Aber die Kälte scheint nicht auf ihn abgefärbt zu haben. Genau genommen hatte er es geschafft, sie zum ersten Mal, seit sie England verlassen hatte, von dem Frost in ihrem Herzen zu befreien.
Nigel Summers hatte alle möglichen zukünftigen Beziehungen zwischen ihr und dem anderen Geschlecht im Keim erstickt. Auch wenn sie hundert Jahre werden würde, diese Entscheidung stand fest.
Nachdem die beiden Jungs im Bett waren, ließ Suzannah ihren Bruder in seinem Studierzimmer alleine. Sie stieg die Treppe hinauf und ging in ihr Zimmer. Wie schon in den letzten Nächten, zog es Suzannah an das Fenster.
Die Temperatur war gesunken. Es war eine klare, kalte Nacht. Die richtige Atmosphäre für eines der schönsten Naturschauspiele, das sie jemals gesehen hatte.
Wie bereits in zwei Nächten davor zog sich leuchtend grünes Licht in einem Bogen über die Hügel und den Hafen. An den Rändern waren zuckende Lichtbögen und unzählige schimmernde Lichtstrahlen zu sehen, die zunächst ebenfalls grün schimmerten, dann aber ihre Farben von Rot nach Weiß, zu Gelb und blendendem Blau wechselten.
Aurora Borealis, gewöhnlich als Nordlicht bekannt, war nur in einer solchen Nacht und an einem solchen Ort zu sehen — und es war Ehrfurcht gebietend.
Es entstand durch elektrische Reaktionen zwischen dem irdischen Magnetfeld und Feldern von energiegeladenen Partikeln der Sonne.
Suzannah betrachtete das Schauspiel und wünschte sich, diesen besonderen Moment mit jemandem teilen zu können.
Am Freitagabend kam Debbie zurück. Suzannah verbrachte den gesamten Tag in der Stadt, sodass die Familie Zeit für sich hatte.
Sie schlenderte ziellos durch das Einkaufszentrum. Es wurde ihr bewusst, wie sie von einem Tag in den nächsten hineinlebte, ohne irgendein Ziel zu verfolgen. Suzannah beneidete die fest miteinander verwobene Einheit, die sie zu Hause zurückgelassen hatte.
Aber genau so hatte sie es doch gewollt, als sie im Frühling nach Neufundland gekommen war. Sie wollte keine Bindungen eingehen. So vermied man, im Treibsand zu versinken.
Die Vernunft sagte ihr allerdings, dass es so nicht für immer weitergehen konnte. Nigels Betrug konnte nicht immer als Grund herhalten, um sich vor dem Leben zu verstecken …
Sie stand an einem der Kosmetikstände des Kaufhauses, als Lafe sie sah. Er lächelte. Nachdem sie sich vor ein paar Tagen verabschiedet hatten, hatte Lafe etwas verstimmt an das Schicksal appelliert. Sie würden sich schon wieder begegnen, wenn es so vorgesehen war. Und da
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