Bianca Arztroman Band 0031
Der Einzugsbereich umfasst dreizehntausend Menschen, was für unsere Verhältnisse sehr viel ist.
Um dort den Ansprüchen gerecht zu werden, gibt es kleine Kliniken in den abgelegeneren Teilen des Umlandes. Zurzeit wird gerade eine ehemalige Walfangstation umgebaut. Zwei Ärzte und vier weitere Angestellte sollen dort arbeiten. Also, was denken Sie darüber?”
“Natürlich kann ich Ihnen nicht sofort eine Antwort geben. Ich muss über viele Faktoren nachdenken.”
“Ob Sie überhaupt arbeiten möchten, während Sie hier sind?”
Sie schüttelte den Kopf. “Nein. Das ist es nicht. Zurzeit bin ich etwas ziellos. Arbeit täte mir gut, aber …”
“Aber was, Suzannah?”
Sie ignorierte den Versuch. “Geben Sie mir ein wenig Zeit. Wann müssen Sie eine Antwort haben?”
“In ein paar Tagen?”
“In Ordnung. Ich gehe jetzt besser nach Hause und denke nach.”
Er nickte. “Ich werde so lange niemandem davon erzählen.”
Auf dem Weg sah sich Suzannah das Haus noch einmal an. Das Meer glitzerte dahinter in der Herbstsonne. Vor dem Haus standen Bäume, Nadelbäume, die wie Wachposten kerzengerade die Stellung hielten. Und es war Lafe Hilliards Zuhause.
Sie hatte das Gefühl, dass es noch einen anderen Grund geben musste, weshalb er dieses Haus verkaufen wollte. Und sie wüsste gerne, was es war. Aber zunächst hatte sie selber genug, über das es nachzudenken galt.
Als sie John und Debbie von dem Angebot erzählte, reagierte ihr Bruder erstaunt.
“Bist du verrückt?”, rief er. “Ich hoffe sehr, dass du ihn mit seinem Angebot zum Teufel geschickt hast.”
“Nein, das habe ich nicht”, antwortete sie ruhig. “Wenn ich nicht diese Schuldgefühle mit mir herumtragen würde, hätte ich den Job sofort angenommen.”
“Du hast doch nicht wirklich vor, mit einem Mann, den du kaum kennst, in die Wildnis Neufundlands zu ziehen?”, entgegnete er energisch.
Debbie wandte sich zu Suzannah. “Wenn du den Job gerne annehmen möchtest, dann tue es. John macht nur so viel Wirbel, weil er dich liebt.”
“Das weiß ich.” Suzannah seufzte. “Aber es ist nicht so einfach. Die Verantwortlichen werden mit dem Krankenhaus in England in Kontakt treten wollen. Und obwohl man letztlich erkannt hat, dass ich unschuldig gewesen bin, ist der Ruf doch ruiniert.”
Ihr Gesicht strahlte plötzlich. “Vielleicht könnte ich …”
“Was?”, hakte John nach.
“Vielleicht könnte ich mit Malcolm Stennet, dem Manager der Klinik, sprechen. Wenn irgendjemand zu mir gehalten hat, dann er. Wahrscheinlich geht die Anfrage sowieso an ihn. Ich rufe ihn sofort zu Hause an.”
“Suzannah!”, schrie Malcolm Stennet, als er hörte, wer am Apparat war. “Ich hatte schon geglaubt, du wärst vom Erdboden verschluckt worden.”
“Ich bin schon seit sechs Monaten bei meinem Bruder in Neufundland”, erzählte sie.
“Ich verstehe. Da ist es kein Wunder, dass dich hier nie jemand gesehen hat. Eine gewisse Person hat sich mehrfach nach dir erkundigt. Ich muss wohl nicht sagen, wer. Aber auch wenn ich es gewusst hätte, wäre nichts über meine Lippen gekommen.”
Suzannah spürte, dass ihr Mund trocken wurde. “Nigel?”
“Ja, höchstpersönlich. Er arbeitet jetzt in einem Londoner Krankenhaus. Ich weiß nicht, wie er an den Job gekommen ist.”
“Bitte, Malcolm. Erzähle ihm nicht, wo ich bin.”
Der ältere Manager kicherte. “Ich würde dem Halunken nicht einmal die Uhrzeit sagen, geschweige denn erzählen, wo du dich aufhältst. Außerdem ist Neufundland groß. Ich wüsste nicht, wohin ich ihn dort schicken sollte.”
“Das wirst du aber, wenn ich dir den Grund für meinen Anruf erkläre.”
“Da bin ich gespannt.”
“Zurzeit lebe ich in St. Anthony bei meinem Bruder und dessen Familie. Aber man hat mir eine Stelle in der Gegend von Port aux Basques angeboten. Ich würde das Angebot gerne annehmen, aber …”
“Bist du wegen der schrecklichen Angelegenheit besorgt, in die dich Nigel mit hineingezogen hat?”, fragte er nach, als Suzannahs Stimme erstickte.
“Suzannah, nichts und niemand außer dir selber steht dir im Weg. Hör endlich auf, dich selber zu bestrafen und nimm die Stelle an.”
“Ich danke dir von Herzen”, antwortete sie mit zitternder Stimme. Ohne diesen Mann hätte sie den Albtraum, in den sie damals hineingeraten war, nicht überstanden. Sein kühler Kopf und der Glaube an sie hatten ihr geholfen, den Verstand zu bewahren. Und dafür würde sie ihm ewig dankbar sein.
Nigel Summers
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