Bianca Exklusiv Band 0226
Sie wusste genau, was er dachte. Sie hatten beide Glück, dass sie noch lebten und zusammen waren.
Als sie auf „Stone’s End“ eintrafen, hatte Drew starke Schmerzen und nahm sofort eine Tablette.
„Brauchst du sonst irgendwas?“, erkundigte sie sich.
„Nur etwas Schlaf.“
„Bist du sicher?“
„Olivia, mach bitte keinen Aufstand“, bat er in leicht ungehaltenem Ton.
Sie verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Okay.“
Er sah, wie sich ihr freundliches Gesicht verschloss, und bereute seine schroffen Worte, aber er konnte ihre Anteilnahme, den körperlichen Schmerz und seine Gefühle nicht gleichzeitig verkraften.
Im Schlafzimmer streckte er sich auf dem Bett aus. Sonnenschein erfüllte den Raum. Er starrte gegen die Decke. Unten hörte er Olivia hantieren. Sie schaltete das Radio ein und summte mit. Ihre Stimme klang sanft, beruhigend.
Er schloss die Augen. Seine Brust hob und senkte sich. Zum ersten Mal seit dem Unfall konnte er befreit aufatmen. Es schockierte ihn, dass er sich derart wohl zu Hause fühlte. Und Olivia war der Hauptgrund dafür.
Würde das nur vorübergehend sein?
Er hatte keine Antwort darauf, aber eines wusste er: Wie alles andere, das ihm teuer im Leben gewesen war, konnte er es im Nu verlieren.
Am frühen Abend, als Olivia nach Drew sehen ging, lag er voll bekleidet im Bett und schlief tief und fest. Offensichtlich hatte er sich nicht allein ausziehen können, sie aber dennoch nicht um Hilfe gebeten. Aus irgendeinem Grund verletzte sie dieser Umstand.
Sie hatte nicht viel Erfahrung darin, sich um andere zu kümmern. Die meiste Zeit ihres Lebens war sie zu beschäftigt gewesen, unter widrigen Umständen zu überleben. Sie dachte an all die Zeiten, zu denen ihre Mutter nicht wie erhofft für sie da gewesen war, an die verspäteten Mahlzeiten, die vergessenen Geburtstage, die versäumten Schulfeiern.
Diese frühen Erinnerungen hatten ihre Vergangenheit geprägt und verfolgten sie manchmal immer noch. Als Resultat ließ sie andere nie nahe an sich daran. Doch Drew hatte ihre Abwehr durchbrochen.
Sie hatte so viele Menschen in ihrem Leben verloren. Was war, wenn sie ihn auch verlor?
Bis zu dem Unfall hatte sie die Gefahr nicht erkannt, die mit seinem Beruf verbunden war. Trotz aller mechanischer Hilfsmittel war es immer noch eine schwierige Arbeit – Mensch gegen Natur.
Ein Irrtum, nur ein kleiner Fehler konnte jemanden verkrüppeln oder töten. Ihre Achtlosigkeit hatte Drew beinahe das Leben gekostet.
Er hatte seine Sicherheit für sie riskiert, doch er lehnte ihre Fürsorge als Ehefrau ab. Was sah er also in ihr? Nur eine Geschäftspartnerin? Eine flüchtige Affäre? Was war, wenn sie mehr wollte?
Ihr Blick fiel auf den kleinen Vogel aus Glas, der auf der Kommode stand und unter einem Nachtlicht glänzte. Es sollte ein Glücksbringer sein, doch bislang war ihr das Glück nicht hold.
Mit einem wehmütigen Lächeln setzte sie sich in den Schaukelstuhl und musterte Drew im Schlaf. Seine Stirn war gerunzelt. Besorgt fragte sie sich, ob er vielleicht Schmerzen hatte. Ob er jemals von ihr träumte? Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. So war es also, jemanden zu lieben, sich um ihn zu sorgen, mit ihm zu hoffen, seinen Schmerz zu teilen.
Die Erkenntnis, dass sie Drew liebte, brachte keinen Trost.
Es wurde kälter im Raum.
Der Stuhl schaukelte und quietschte.
„Komm ins Bett“, flüsterte Drew.
„Ich dachte, du schläfst“, flüsterte sie unwillkürlich zurück. Behutsam legte sie sich zu ihm.
„Ich bin gerade aufgewacht.“ Mit dem unverletzten Arm zog er sie an sich.
Sie schob eine Hand unter sein Hemd. „Du hättest getötet werden können.“
„Aber es ist nicht passiert.“
„Du hast mir das Leben gerettet. Warum?“
„Was meinst du wohl?“, fragte er ausweichend.
„Ich weiß es nicht.“
Er lächelte vage. „Tja, wenn du es herausfindest, kannst du es mir ja sagen.“ Er war nicht bereit, noch mehr zu riskieren, was Olivia anging. Er konnte eine verrenkte Schulter oder gebrochene Knochen verkraften, nicht aber ein gebrochenes Herz.
10. KAPITEL
Drew schief lange am nächsten Morgen.
Olivia brachte ihm das Frühstück ans Bett. „Ich dachte mir, dass du Hunger hast.“
„Das stimmt. Danke.“ Erwartungsvoll setzte er sich auf. Als er das fade Mahl aus Milchreis und Tee auf dem Tablett erblickte, sank seine Stimmung.
Sie schüttelte sein Kissen auf und schob einen Eisbeutel unter die verletzte Schulter. „Das soll die
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