Bianca Exklusiv Band 0226
hatte vergessen, wie gefühlvoll sie sein konnte, was sie für gewöhnlich hinter einem reservierten Äußeren verbarg. Sie war die Einzige aus seiner Familie, der an ihm lag, die mit ihm in Verbindung geblieben war. „Ich wollte nicht, dass du mich an so einem Ort siehst.“
„War es so furchtbar?“
„Es war nicht gerade ein Picknick. Aber ich habe es überstanden.“
Sie wischte sich eine Träne von der Wange und lächelte zittrig. „Das klingt weise.“
„Das hat mir bisher noch niemand vorgeworfen“, erwiderte er, um die Atmosphäre aufzulockern. „Wie geht es Mom und Dad?“
„Dad hat sich im letzten Sommer zur Ruhe gesetzt. Sie machen endlich diese Kreuzfahrt, von der Mom immer geträumt hat. Es ist eine Art zweite Hochzeitsreise.“
„Das freut mich für sie.“ Drew meinte es ernst. Seine Mutter hatte vier Kinder großgezogen und Freizeit verdient.
„Evan kümmert sich jetzt um alles.“
„Aber natürlich“, sagte er trocken. Sein älterer Bruder war ein Vorbild an Perfektion – ehrlich, großzügig, arbeitsam. „Und was führt Cal so im Schilde?“
„Er hat das College abgeschlossen und ist zum Friedenskorps gegangen. Als ich das letzte Mal von ihm gehört habe, war er in Südamerika.“
Drew schmunzelte. „Der Glückspilz.“ Als Jüngster der vier Kinder hatte Cal immer seinen Kopf durchsetzen können. „Kannst du mir jetzt bitte sagen, warum du wirklich gekommen bist?“
Abby lächelte reumütig. „Bin ich so leicht zu durchschauen?“
„Du magst dich äußerlich verändert haben, aber ich glaube nicht, dass du neuerdings impulsiv handelst. Das habe ich nie bei dir erlebt.“
„Wie gesagt, ich wollte dich sehen. Aber ich musste auch für eine Weile weg.“ Mit einem Achselzucken wechselte sie das Thema. „Warum hast du aufgehört, auf meine Briefe zu antworten?“
„Es gab nichts zu schreiben. Du hast gesagt, dass Seth dich angerufen hat. Bist du seinetwegen hier?“
Sie errötete. „Ich weiß nicht mal, ob er mich überhaupt noch mag.“
„Er mag dich, das kannst du mir glauben“, versicherte Drew trocken.
„Er hat mir erzählt, dass du heiraten willst.“
„Aha. Deswegen hat er dich also angerufen. Olivia und ich haben vor zwei Tagen geheiratet.“
Schockiert und missbilligend riss sie die Augen auf. „Wann hat ein Carlisle unserer Familie jemals Glück gebracht? Hast du vergessen, dass Jared gegen dich ausgesagt hat?“
„Das ist eine ganz andere Geschichte. Olivia hatte nichts mit dem Abschnitt meines Lebens zu tun“, entgegnete er, obwohl er dabei nicht ganz ehrlich zu sich selbst war. Jede Verbindung mit den Carlisles hatte ihm bisher in irgendeiner Form Kummer bereitet.
„Wie lange kennst du sie eigentlich?“
„Lange genug. Wenn du ihr nur eine Chance gibst, wirst du sie bestimmt mögen.“
Abby wirkte skeptisch. „Wie ist sie denn so?“
Der Gedanke an die verwirrende Persönlichkeit seiner frischgebackenen Ehefrau zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. „Sie ist künstlerisch, praktisch, witzig und niedlich. Und starrsinnig wie alle Carlisles.“
Bestürzt schüttelte Abby den Kopf. „Ach, Drew, was in aller Welt werden die Leute bloß sagen?“
„Es wird das Tagesgespräch bleiben, bis sie etwas Aufregenderes finden, worüber sie tratschen können.“
„Wenn ich diese Stadt richtig in Erinnerung habe, dann dauert das Jahre“, murmelte sie betroffen. „Ich habe nur eine Frage. Bist du glücklich?“
„Glücklich?“, wiederholte er gedehnt. Das Wort erschien ihm neu und fremd. Um glücklich zu sein, brauchte er Olivia. Sie gehörte zu ihm. Sie wusste es nur noch nicht.
Sie davon zu überzeugen war eine echte Herausforderung, aber er hatte ein Leben lang Zeit, daran zu arbeiten. War er glücklich?
Er lachte sanft und machte sich zum ersten Mal die abwegige Wahrheit bewusst. „Ja, ich glaube schon.“
Olivia hatte zwar zugestimmt, dass Drew mit ihr auf „Stone’s End“ wohnte, aber sie war nicht wirklich auf seinen Einzug vorbereitet. Als er eintraf, stellte er sein Gepäck und einige Kartons mit Büchern und Werkzeug an der Hintertür ab.
Sie bemühte sich, ihre Nervosität zu unterdrücken. „Wir haben seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Du musst Hunger haben.“
„Gut erkannt. Brauchst du Hilfe?“
„Nein. Ich habe schon alles fertig.“
Sie hatte ein einfaches Mahl aus Bratkartoffeln, Schinken und gemischtem Salat zubereitet. Während des Essens nahm die Spannung zwischen ihnen etwas ab.
Drew
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