Bianca Exklusiv Band 243
haben dich sehr lieb, Annabelle.
Sie schloss die Augen und versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Damals, als sie Evelyns und Jessies Hilfe zurückgewiesen hatte, wollte sie niemanden verletzen. Sie hatte nur gemeint, dass es besser sei, auf eigenen Füßen zu stehen.
Ihre Eltern waren so voller Lebensfreude gewesen, und doch waren sie von heute auf morgen verschwunden. Annabelle hatte sie über alles geliebt.
Auch Adam hatte sie geliebt. Sie wollte sich ihm hingeben, doch auch er hatte sie verlassen.
Hatte Liebe denn überhaupt noch irgendeinen Sinn?
Annabelle öffnete die Augen und betrachtete die Ordnung vor sich auf dem Schreibtisch. Nur wenige Menschen verstanden, warum sie dieses Bedürfnis nach Planung hatte, und manchmal verstand sie sich selber nicht. Sie wußte nur, dass Ordnung ihr zumindest das Gefühl gab, das Leben meistern zu können.
In all den Jahren seit dem Tod ihrer Eltern hätte sie auf Evelyn und Jessie zählen können. Doch stattdessen wollte sie unbedingt ihren eigenen Weg gehen. Nur weil sie so dickköpfig gewesen war, hatte sie sich und ihrer Schwester das Leben unnötig schwer gemacht. Die beiden Cousinen waren sicher etwas überdreht, aber sie liebten Annabelle und Lia.
Ach, dachte die junge Frau, wenn ich das nur früher eingesehen hätte! Doch jetzt war es zu spät.
Adam.
Als Adam vor sechs Jahren die Stadt verlassen hatte, hätte sie da nicht einfach auf ihn warten sollen? Irgendwann wäre er zurückgekehrt, und sie hätten sich lieben können.
Sie dachte, dass sie sehr mutig gewesen war, als sie ihm gesagt hatte, dass sie ihn lieben wolle, auch wenn es nur für eine Nacht sei. Doch da hatte sie sich selber etwas vorgemacht. Eine Nacht, eine Woche, ein Sommer. Das alles war zu kurz, wenn es um Adam ging. Sie wollte ihn für immer.
Ein verlockender Gedanke, doch mit ihm würde es keine gemeinsame Zukunft geben. Vielleicht würde er einige Zeit bleiben, doch irgendwann würde es ihn wieder hinaus in die weite Welt ziehen. Er war ein Abenteurer, und das würde sich auch bei aller Liebe nicht ändern. Nur eines war sicher: Annabelle würde ihn niemals vergessen können.
Sie fühlte, wie ihr eine Träne über die Wange rollte. So lange hatte sie sich beherrscht, all die Jahre über hatte sie ihre Gefühle zurückgehalten, doch jetzt konnte sie nicht mehr.
Sie weinte um ihre Eltern, um Lia und um sich selber. Um die Momente, die sie gemeinsam verbracht hatten, um die Missverständnis, um die kurzen Augenblicke des Glücks. Sie weinte um die Zukunft, die sie allein verbringen würde. Sie war noch so jung, und doch musste sie schon einsehen, dass sie niemals ihre Träume verwirklichen würde. Sie weinte um die Leidenschaft, die sie verspürt hatte, und darum, dass sie in dem Augenblick erloschen war, als Adam sich aufgesetzt hatte, da er sie nicht lieben wollte.
Endlich versiegte der Tränenfluss. Annabelle nahm ein Taschentuch, wischte sich über die Augen, schnäuzte sich und überlegte dann, was nun zu tun sei. Eines jedenfalls war sicher: Sie konnte nun nicht mehr ihre eigenen Gefühle verheimlichen.
Was fühlt Adam wohl? fragte sie sich. Wahrscheinlich war er froh darüber, dass ihre Beziehung ein Ende genommen hatte, bevor er Verantwortung übernehmen musste. Wenn sie ihm eine Liebeserklärung gemacht hätte, hätte ihn das sicher eher gestört als gefreut.
Liebe erfordert Mut, überlegte sie. Es gibt keine Garantien. Das macht es spannend, aber auch gleichzeitig so gefährlich. Annabelle verlor sich in ihren Gedanken, dann in ihren Träumen und Gefühlen. Sie saß eine ganze Weile so da, bis ihr endlich klar geworden war, was sie zu tun hatte.
Adam fuhr die Auffahrt so schnell hinauf, als ob er noch viel vorhatte. Es war ein langer und anstrengender Tag gewesen, aber er war sehr zufrieden. Er hatte drei Stunden in dem Büro des Direktors des Aquariums verbracht und anschließend lange an seinem Boot gearbeitet. Er war müde, mehr von dem Sitzen im Büro als von der körperlichen Arbeit, aber aufgeregt. Adam hatte das Gefühl, dass die Luft um ihn herum vibrierte, wie es stets der Fall war, wenn er zu einem neuen Abenteuer aufbrach. Und dieses Mal würde es das größte Abenteuer werden, das er je erlebt hatte.
Er nahm zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe hinauflief und war so in Gedanken versunken, dass er Annabelle erst gar nicht wahrnahm, die dort auf der Schaukel saß. Sie trug ein langes T-Shirt und einfache Jeans.
„Annabelle!“, rief er erstaunt aus.
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