Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers
Manfred durfte bleiben. Friedrich tätschelte die Hand seines Lieblings.
„Weißt du, was mich besonders freut?“
Manfred schüttelte betrübt den Kopf. Er ahnte, dass sein Vater im Sterben lag, stemmte sich aber mit aller Kraft gegen diese Vorstellung. Kaiser Friedrich doch nicht!
Stupor mundi
– das Staunen der Welt! Ein Gigant! Ein Ausbund an Macht und Wissen!
Da hörte er die leise Stimme seines Vaters und beugte sich tiefer.
„
De arte venandi cum avibus
– unser Buch! Es ist gerade noch rechtzeitig fertig geworden …“
„Euer Buch, Vater! Mein Anteil daran war gering.“
„Es war deine Anregung, es zu schreiben – ohne dein Drängen wäre es wohl nicht entstanden.“
|23| Was redete der Vater jetzt von dem Falkenbuch? Es gab doch viel Wichtigeres!
„Vater, ich danke Euch für das Erbe, aber ich werde es nicht antreten können, da ich kein legitimer Sohn bin.“
Der Kaiser lächelte und zwinkerte dabei mit den Augen.
„Öffne die Truhe am Fenster. Hinter anderen Papieren findest du eine gesiegelte und in Purpur eingeschlagene Rolle.“
Manfred folgte der Aufforderung, fand das Gesuchte und brachte es ans Bett.
„Verwahre es gut und öffne es gleich nach meinem Tod. Lass mich ein wenig schlafen, aber bleibe bei mir.“
Manfred nickte und ließ den Vater nicht aus den Augen. Später kam der Arzt Johannes von Procida herein und fragte leise:
„Wie geht es ihm?“
„Er schläft …“
„Ruft mich sofort, wenn er aufwacht.“
Manfred nickte und stellte etwa um die Mittagszeit fest, dass die Atemzüge des Kaisers mühsamer wurden, in ein rasselndes Keuchen übergingen. Er griff nach der Hand seines Vaters, die sich eiskalt anfühlte. Behutsam versuchte er, sie warm zu reiben, spürte einen leisen Gegendruck.
Friedrich öffnete kurz die Augen und sagte laut und deutlich: „Es gibt nur sie – die Einzige!“
Dann verstummte das Keuchen und der Kaiser lag mit offenen Augen da – leise lächelnd.
Als Manfred dem Erzbischof von den letzten Worten seines Vaters berichtete, sagte Berardo von Palermo: „Damit war gewiss die Kirche gemeint, mit der er sich sterbend versöhnt hat.“
Manfred aber wusste es besser, denn er war einige Male Zeuge gewesen, als sein Vater den Kosenamen „Unica“ für die Mutter benutzte. Als er den Purpurstoff öffnete, fand er ein gesiegeltes und von drei Zeugen unterzeichnetes Dokument. Er las es und brach in Tränen aus.
|24| Erstes Buch
1
Mit dem Zurückerinnern ist es so eine Sache. Die einen behaupten, sie könnten sich der Zeit entsinnen, da sie an der Mutterbrust lagen, bei anderen setzt die Erinnerung erst mit dem dritten oder vierten Lebensjahr ein. Freilich gehen die meisten dabei irre und halten, was sie später von Eltern und Geschwistern erfahren, für im eigenen Gedächtnis Bewahrtes.
Bianca aber war ganz sicher, ihr sei der traurige Tag im Gedächtnis geblieben, als der Vater starb. Wenige Tage später, am neunten Oktober, sollte nämlich ihr dritter Geburtstag gefeiert werden und ihr ganzes kindliches Sinnen und Trachten war auf diesen Festtag gerichtet. Ihre
nutrice
unterstützte sie dabei nach Kräften und gemeinsam heckten sie Geburtstagswünsche aus. Das konnten sie – vom Spott der älteren Brüder verschont – ganz unbehelligt tun, denn die Amme Berta stammte aus Innsbruck, und sie unterhielten sich in einem bairisch gefärbten Deutsch. Bertas Mann Jörg war Söldner im Dienst der gräflichen Familie Lancia, mochte sich von seiner Frau nicht trennen und hatte sie über die Alpen geholt. Biancas Milchschwester starb bald nach der Geburt und so war Berta zu ihrer zweiten Mutter geworden.
Biancas Vater, Tommaso Lancia, war ein begeisterter Waidmann und er fieberte alljährlich der herbstlichen Jagdzeit entgegen. Die gräfliche Familie Lancia war in und um Pisa reich begütert und wenn Don Tommaso jagte, dann tat er es im Gebiet des Monte Pisano auf eigenem Grund und Boden. Er hatte seine Jagdlust nicht ererbt, denn sein Vater, Don Bartolomeo, war eher ein Gelehrter, der sich viel mit Familien- und Stadtgeschichte befasste. Freilich, auch er war ein Lehnsmann und somit dem Kaiser verpflichteter Waffenträger, aber unter Heinrich VI. war hier kein Kriegsdienst zu leisten und der Gefolgschaft Ottos des Welfen hatte er sich geschickt entzogen. Nun aber musste sein Sohn den Waffendienst leisten, aber vorerst sah es so aus, als würden unter dem neuen König friedliche Zeiten heraufziehen. So hatte sich der zum Krieger |25|
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