Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers
war, als hätte Gott der Natur befohlen, die Menschen an ihre Machtlosigkeit zu erinnern, ihnen zu zeigen, dass sein Zorn furchtbar und maßlos sein konnte. Doch das Volk fragte nach dem Warum und die Antworten darauf erteilten fanatische Bußprediger und sie fielen ganz unterschiedlich aus.
Die Katastrophe kündigte sich bereits im Oktober mit tagelangen, von Sturzregen und Hagelschauern begleiteten Stürmen an. Im November erstarrte die nördliche Hälfte Italiens in einer seit Menschengedenken |249| niemals erlebten Eiseskälte, die Seen und Flüsse zufrieren ließ und die von hohem Schnee bedeckten Straßen und Wege unpassierbar machte. Hunger und Elend breiteten sich aus, tausende starben. Die vom Hunger geplagten Römer stürmten die Paläste der Kardinäle und drangen sogar in den Lateran ein. Papst Gregor floh nach Rieti und bat den Kaiser um Hilfe. Für Friedrich war dies die beste Gelegenheit, seine Aufgabe als Schutzherr der Kirche wahrzunehmen. Süditalien blieb von der Naturkatastrophe verschont. Sizilien war befriedet und so konnte er mit seinen Truppen dem Papst zur Hilfe eilen.
Zu Petrus de Vinea bemerkte der Kaiser: „Ich tue es nicht gern, aber ich muss es tun, obwohl ich weiß, dass Gregor mir beim geringsten Anlass wieder in den Rücken fallen wird.“
Bei dem Pfingsttreffen in Rieti ging es vor allem um Friedrichs Waffenhilfe, doch der Papst brachte auch König Heinrichs Verhalten zur Sprache. In der Erwartung, der Kaiser würde für seinen Sohn um Verständnis bitten, sah der Papst sich getäuscht. Friedrich hieß es gut, den deutschen König wegen Missachtung der Ketzergesetze zu bannen, und teilte dem Papst seine Absicht mit, seinem unbotmäßigen Sohn im nächsten Jahr einen Besuch abzustatten. Eine Absicht muss nicht immer in die Tat umgesetzt werden, doch der Umstand, dass Heinrich sich mit der Lombardischen Liga gegen ihn verbündet hatte, ließ Friedrich zur Abreise drängen.
Bianca fragte: „Und ich soll in Melfi bleiben?“
„Oder in Foggia – ja, diesmal kann ich dich nicht mitnehmen. Costanza ist fünf, das ginge schon, aber Manfred mit seinen zwei Jahren – nein! Auch will ich nicht, dass du meinen Sohn bei einer Kinderfrau zurücklässt.“
Sie kannte ihren Falcone gut genug, um seinem Befehlston nicht gleich zu begegnen. Was er mit solcher Bestimmtheit sagte, stand in diesem Augenblick felsenfest. Aber unter gewissen Umständen ist sogar ein Fels zum Wanken zu bringen, das wusste Bianca aus Erfahrung. Auch in ihr waren gewisse Pläne gereift, die eher ihre Familie als den Kaiser betrafen. Sie hatte während der letzten Monate Briefe von ihrem älteren Bruder Galvano erhalten, die davon sprachen, dass er für Giordano die geeignete Braut gefunden habe, aber auch von ihr war die Rede und von seinem Wunsch, die Schwester mit ihren Kindern bald zu sehen. Ja, es war schon seltsam: Als sei nun sie das Haupt der Familie, hatte Galvano ihr als |250| Erster seine Pläne für Giordanos Heirat mitgeteilt. Sie fragte den jüngeren Bruder nach Briefen von zuhause.
„Nein, von Galvano habe ich lange nichts gehört. Du weißt ja selber, dass er nicht gerne schreibt, und von mir ist ihm bekannt, dass ich nicht gerne lese.“ Er lachte dazu schallend, als hätte er einen Witz gemacht.
„Er wollte doch für dich eine Frau suchen …“
Giordano feixte. „Ja, ja, das sagt sich so leicht, aber er kennt mich gut genug, um zu wissen, das ich da etwas heikel bin.“
„Mit Anna ist wohl Schluss?“
Seine Miene verschloss sich, doch seine Augen funkelten zornig. „Da musst du sie schon selber fragen.“
Natürlich wusste Bianca genau, was vorging. Anna wollte sich nicht mit einem Liebhaber belasten, der – wie zu erwarten stand – eine andere heiraten und sie dann sitzen lassen würde, vielleicht sogar mit einem Kind. Nein, dafür war sie sich zu schade. Außerdem hatte sich mit einem Roberto etwas angebahnt, das war der jüngere Sohn eines Landbesitzers nahe Foggia, der eigentlich nach elterlichem Wunsch Priester hätte werden sollen. Doch er war aus der Lateinschule davongelaufen, um seiner Neigung zum Waffendienst zu folgen. Bei den kaiserlichen Truppen hatte er es schnell zum Unterführer gebracht, war zur Palastwache übergewechselt und hatte Friedrich als Jagdgehilfe mit seiner Treffsicherheit verblüfft. Er konnte auf fünfzig Ellen eine Wassermelone mit absoluter Sicherheit treffen und hatte bei mehreren Wettschießen jeweils den ersten Preis gewonnen. Er entstammte einer
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