Bianca Lancia - die Buhle des Kaisers
aber Friedrich mied, um nur ein Beispiel zu |9| nennen, zeitlebens die Stadt Florentia, die Blühende, die Blumenreiche. Zum Glück bestand kein Anlass, diese bedeutendste Stadt Mittelitaliens zu besuchen – da waren eher Gründe, es nicht zu tun. Florentia war kurz nach Friedrichs Geburt dem Tuscischen Bund beigetreten, eine gegen die deutsche Kaiserherrschaft gerichtete Liga. Als Kaiser war er klug genug, gegen diese wichtige, wohlgerüstete Handelstadt nichts zu unternehmen. Sie gehörte nicht zur Lombardei und er wusste, dass es auch in Florentia eine ganze Reihe von ghibellinisch gesinnten Familien gab, auf die er notfalls zählen konnte.
Wieder schloss er die Augen. Heute hatte es kaum diese
passione iliaca
gegeben – jene grässlichen Darmkrämpfe, die ihn zuvor tagelang gequält und geschwächt hatten. Nun aber stellte er sich die kritische Frage, ob er Florentia besucht hätte, wäre nicht die Warnung des Magisters Scotus gewesen? Neugierde und Wissensdrang, die ihn stets begleiteten, hätten wohl gesiegt und er wäre – vielleicht verkleidet und anonym – durch eine Stadt gewandert, von deren Kirchen und Palästen man sich Wunderdinge erzählte.
So hatte er Florentia, die Blumenreiche, gemieden, aber das unerbittliche Schicksal hatte ihn auf das Castel Fiorentino geführt und so würde sich die Prophezeiung seines Todes „
sub flore
“ erfüllen. Er lächelte leise und dachte: Was kann es denn Schöneres geben, als „unter Blumen“ zu sterben? Ein Geräusch riss ihn aus seinen bunt wirbelnden Gedanken. Er öffnete die Augen und blickte in das Greisengesicht von Berardo, dem Erzbischof von Palermo. Einer der Treuesten, die je des Kaisers Lebensweg begleitet hatten. Fast von Anfang an … Über vier Jahrzehnte, unbeirrt durch Niederlagen oder durch Siege, stand er Friedrich zur Seite, als er König von Sizilien war, später dem deutschen König und dem römischen Kaiser. Berardo gehörte zu den wenigen Priestern, die den von der Kirche Gebannten zur Krönung nach Jerusalem begleiteten. Dreimal traf ihn selber der päpstliche Bann, doch er blieb standhaft.
„Setzt Euch, Eminenz …“
Ein Diener brachte den Stuhl, der Erzbischof ließ sich ächzend nieder. Friedrich räusperte sich, hustete krampfhaft und flüsterte: „In allen Gefahren standet Ihr mir zur Seite und vieles habt Ihr um mich erduldet.“
„Du warst im Recht, mein Sohn, und das Recht ist bei Gott. Wir standen also auf Gottes Seite.“
|10| Die zittrige Greisenstimme … Jedes Mal, wenn Friedrich sie hörte, musste er seine Rührung verbergen, was ihm nicht immer gelang. Berardo de Castanea war der einzige lebende Mensch, der den Kaiser noch duzen durfte, auch der einzige, den Friedrich schon in seiner Kindheit gekannt hatte.
„Es geht dir besser, sagen die Ärzte.“
„Die Ärzte sagen viel …“
„Empfindest du es nicht so?“
„Doch, Eminenz, aber das kann auch ein schlechtes Zeichen sein. Oft genug haben die Ärzte eine
euphoria mortis
beobachtet, eine Gnade der Natur, die Gott den Sterbenden schenkt.“
Berardo nickte. „Gut möglich, aber es kann auch ein Zeichen der beginnenden Genesung sein. Und gerade deshalb schlage ich eine Generalbeichte vor. Damit soll für dich ein neuer Lebensabschnitt beginnen.“
„Heute nicht … Ich muss mich dazu erst sammeln, morgen ist auch noch ein Tag.“
Der Erzbischof erhob sich, wieder laut ächzend. „Wie du willst, Federico.“ Es klang freundlich und verständisvoll.
Draußen senkte sich die Dämmerung über das Land, die Steineiche war nur noch als Schatten zu erkennen, aber der Wind hatte sich verstärkt und Friedrich hörte wieder den erregenden Ton der Kastagnetten. Doch nicht die vom Wind bewegten, immergrünen Blätter der Steineiche verursachten dieses Geräusch, sondern die Erinnerung an das aufreizende rhythmische Klopfen, das dieses primitive hölzerne Musikinstrument erzeugte. In den Händen der Tänzerinnen. In seinem Harem. Er hatte sich niemals geweigert, die Existenz eines solchen Frauenhauses zuzugeben. In Melfi, in Foggia, auf Reisen. Seine meisten Kinder hatte er wohl mit diesen braunhäutigen, schwarzhaarigen, dunkeläugigen Mädchen gezeugt. Da wurde er zum rasenden Satyr, der sich tagelang durch die Schöße der Mädchen wühlte, unermüdlich, unerbittlich, potent wie ein junger Stier.
Das hatte mit Bianca nicht aufgehört, doch er war ruhiger und besonnener geworden. War er fern von ihr, musste der Harem einspringen, lebten sie aber zusammen in
Weitere Kostenlose Bücher