Bianca Spezial Band 8
Und auf einmal machte er ihr ganz von selbst all die Gegenangebote, die er eigentlich von ihr erwartet hatte.
„Du kannst mit dem Umzug gern bis zum Frühling warten, wenn dir das lieber ist“, sagte er. „Ich trage auch die Kosten. Außerdem habe ich ein ziemlich großes Haus, dort könnt ihr erst mal unterschlüpfen, während ihr euch etwas Dauerhaftes sucht. Das Haus hier in St. Paul brauchst du nicht gleich zu verkaufen. Vielleicht ist es nicht schlecht, wenn dieses Hintertürchen erst mal geöffnet bleibt, falls das Ganze nicht klappt.“
„Du hast dir das schon alles ganz genau überlegt, stimmt’s?“ In ihrer Stimme schwang eine unterdrückte Anschuldigung mit.
„Da gab’s nicht viel zu überlegen“, erwiderte Brady. „Das meiste ist doch offensichtlich.“
„Und bis zu welchem Datum sollte ich mich entschieden haben?“
Brady betrachtete sie genauer. War sie etwa wütend? Er hatte keine Ahnung, was er von ihrer Reaktion halten sollte, wusste nicht, was gerade in ihr vorging.
Wenn seine Mom wütend oder gekränkt war, dann ließ sie ihn ganz genau wissen, was sie dachte. Mit lauten, deutlichen Worten. Und wenn sie ihn mit irgendwelchen Strategien zu etwas bewegen wollte und er ihr das auf den Kopf zu sagte, dann gab sie das auch sofort zu. Genau das schätzte er so an ihr.
Mit Stacey hingegen war es anders gewesen. Immer wieder hatte sie ihn angelogen. Ihm etwas vorgespielt, damit sie bekam, was sie wollte. Dabei hatte sie sein Pflichtgefühl ihr gegenüber schamlos ausgenutzt.
Brady wartete darauf, dass sich herausstellte, ob Libby eher wie Mom oder wie Stacey war, aber es tat sich nichts. Stattdessen rutschte Colleen unruhig auf ihrem Kinderstuhl hin und her und sah dabei ziemlich unglücklich aus. Die Ablenkung war willkommen.
„Ich glaube, sie braucht eine neue Windel“, meinten Brady und Libby beide gleichzeitig.
„Ich nehme sie mal kurz mit“, fügte Libby hinzu. „Du kannst gern die ganze Pizza und den Salat aufessen, ich bin fertig.“
„Du hast aber nicht gerade viel davon gehabt“, stellte er fest. „Noch nicht mal dein erstes Stück hast du aufgegessen.“
Sie zuckte mit den Schultern und lächelte höflich. „Ich hatte eben keinen großen Hunger.“ Hand in Hand ging sie mit ihrer Tochter in Richtung Toiletten und gab noch immer nicht zu erkennen, wie sie sich wirklich fühlte.
Hilflos sah Brady ihr nach.
3. KAPITEL
An einem Donnerstag Ende Oktober verlegten Libby und Colleen ihr Leben nach Ohio. Davor hatte Libby fünf Wochen lang Listen erstellt, herumtelefoniert, mit Immobilienmaklern und Umzugsunternehmen verhandelt, Kisten gepackt, Dinge aussortiert und weggegeben.
Ihre Mutter stand dem Umzug sehr skeptisch gegenüber. „Ist es denn wirklich so wichtig, dass Colleen Kontakt zu ihrer Schwester hat?“, hatte sie Libby mehrmals am Telefon gefragt.
„Brady und ich sind beide überzeugt davon“, hatte Libby erwidert.
„Aber du hast mir doch immer erzählt, du wolltest am liebsten unabhängig sein, und dass du es am besten findest, dich ganz allein um das Mädchen zu kümmern … obwohl ich ja schon immer gedacht habe, dass es schwerer würde, als du dachtest. Und jetzt machst du auf einmal eine 180-Grad-Drehung!“
Libby und Colleen nahmen sich zwei Tage Zeit für die Fahrt von Minnesota nach Ohio und verbrachten Donnerstagnacht in einem Motel, das etwa auf halber Strecke in Illinois lag. Am nächsten Morgen war Colleen schon früh wach, und Libby zog ihr das niedliche Ensemble an, das sie extra für ihren Ankunftstag eingepackt hatte: ein langärmliges Kleid aus Sweatshirtstoff in den Farben Rosa und Weiß, mit hoher Taille, weitem Rock und dazu passenden Leggings.
Brady hatte Libby eine detaillierte Wegbeschreibung zu seinem Haus in Columbus gegeben. Er wohnte in einer ruhigen Wohngegend mit vielen Bäumen. Es war ein kühler Tag, und zweifellos war es nun Herbst geworden: Unter den kahlen Bäumen häuften sich rostfarbene, braune, orangefarbene und goldene Blätter. Ihr fiel jedoch auf, dass es hier sehr viel milder war als noch vor zwei Tagen in St. Paul.
Schließlich erreichten sie Bradys Haus. Es war aus sandfarbenem Stein gebaut und hatte hellblaue Fensterläden sowie ein schräges Ziegeldach. Davor gab es eine große Rasenfläche mit einigen großen Bäumen, dahinter konnte sie den Garten sehen.
Libby parkte den Wagen vor einer Hälfte der Doppelgarage und ging mit Colleen an der Hand zur Haustür. Gerade hatte sie geklingelt, da hörte sie
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