Bienensterben: Roman (German Edition)
Macdonald war fuchsteufelswild; er wollte Gerechtigkeit und würde sie nie bekommen, und ich war froh, denn er verdiente es nicht. Wenn irgendwer an Izzys Schicksal schuld war, dann er, und tief im Inneren wusste er das auch.
Als ihre Leichen entdeckt wurden, hab ich geweint, aber nicht vor Erleichterung, wobei ich schon erleichtert war, sondern weil ich es so traurig fand für Izzy und Gene. Sogar im Tod galt ihr Leben als wertlos, und das hat mir selbst irgendwie das Gefühl gegeben, ich wäre nichts wert. Schließlich haben sie mich gemacht, aber als ich das Kim gesagt hab, konnte ich mir was anhören.
»Du bist das Wertvollste in meinem ganzen Leben, und in dem von Nelly auch. Wenn du noch mal so eine Scheiße laberst, scheuer ich dir eine.«
Kims Eltern haben uns noch mal angeboten, dass wir bei ihnen wohnen können, aber das Jugendamt hielt davon mal gar nichts und hat entschieden, dass Robert T. Macdonald als leiblicher Verwandter der geeignetere Vormund ist. Unsere lautstarken Proteste wegen seiner gewalttätigen Vergangenheit haben keine Sau interessiert; alle haben sich nur auf die Zukunft konzentriert. Die Vergangenheit war tot.
Nelly
Als ich im Krankenhaus ankam, stand dort so ein vermaledeiter Polizist vor Lennies Zimmer, und Himmelherrgott, ich war einfach nur ratlos und habe angefangen zu weinen.
»Was ist denn los, Schätzchen?«, fragte der Polizist.
»Ich muss diese Bestie unbedingt sehen«, sagte ich.
»Wer bist du denn?«
»Er hat meine Eltern ermordet«, flüsterte ich, nicht ohne Scham. Es verursacht mir jedes Mal wieder Unbehagen, Lennie für ein Verbrechen beschuldigen zu müssen, von dem ich genau weiß, er hat es nicht begangen. Marnie zufolge war Izzy dafür verantwortlich, was mich sehr erleichterte, denn ich hatte immer geglaubt, Marnie hätte jene unselige Tat vollbracht.
»Der liegt bewusstlos im Bett, Schätzchen. Kannste eh nichts machen«, sagte der Polizist zu mir.
»Aber ich habe ein paar Dinge, die ich ihm sagen muss. Sonst finde ich einfach keine Ruhe.«
»Okay«, erwiderte der Polizist, etwas perplex über meine Bitte.
»Ich flehe Sie an«, sagte ich.
Er sah sich im Flur um. Da niemand weiter da war, ließ er mich zu Lennie ins Zimmer.
»Fünf Minuten«, sagte er.
»Sie sind ein Kumpel«, sagte ich zu ihm.
»Genau, Schätzchen. Ein Kumpel.«
Lennie
Ich bin bei klarem Verstand. Ich bin erschöpft und hellwach zugleich. Ich sehe dunkle Umrisse und erkenne Stimmen. Ich spüre Fremde. Ganz langsam schleichen sie sich an. Fremde Arme heben mich, und auf der Zunge spüre ich Eiscreme. Sie schmeckt köstlich, sie ist warm. Man lässt mich wieder ins Halbdunkel sinken, ich schreie nach den Rosen. Ich sage ihr nicht, dass sie in Sicherheit ist. Ich sage ihr nicht, dass es ausgestanden ist. Ich sage ihr etwas Entlegenes. Etwas Verborgenes. Ich hoffe, es findet den Weg zu ihr. Ich frage nach jemandem, der spät dran ist, und ich sehne mich so nach dem Hund. Mein Mut ist sanft und froh. Ich bin bereit. Ich denke an dich, bis der Regenbogen verblasst.
Marnie
Sie war abgehauen, und Robert T. Macdonald war stinksauer. Er wusste genau, wo er sie finden würde, und wollte sie von seinem Bett wegzerren. Die ganze Fahrt zum Krankenhaus hab ich ihm einzureden versucht, dass sie das Stockholm-Syndrom hat, ist er anscheinend auch drauf angesprungen. Als wir im Western Hospital ankommen, sagt er, ich soll sie holen gehen. Er wartet unten in der Eingangshalle.
»Ich bring ihn um, wenn ich ihn sehe.«
Sie sitzt vor Lennies Zimmer auf einem Stuhl, isst Chips und trinkt Cola. Ich hab damit gerechnet, dass sie völlig hysterisch ist. Denkste. Sie sitzt bloß da, kaut und schlürft an ihrer Cola. Echt ärgerlich. Ich frag nach Lennie, und sie sagt, er schläft. Ich sag, dass ich zu ihm will, und erzähl dem Polizisten, ich will dem Mann gegenübertreten, der meine Eltern umgebracht hat, aber ich krieg gar nicht mehr die Chance, Lennie wegen irgendwas gegenüberzutreten, weil die Schwester aus seinem Zimmer kommt und dem Polizisten sagt, dass Lennie gestorben ist.
Nelly
Die Vögel zwitschern weiter und die Musik spielt weiter. Ein Leben verebbt, doch das Leben geht weiter.
Wir begegnen dem Tod nicht zum ersten Mal, Marnie und ich; er ist ein Eisberg und schmilzt mit der Zeit, und die Wassertropfen, die tief in einem gefrieren, erinnern einen täglich aufs Neue an das Verlorene, doch dieser Tage spüren wir eine Trauer, die als Verzweiflung jede Sehne und jeden Knochen
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