Big Sky Country - Das weite Land (German Edition)
schäbig. Er fragte sich, ob der Teppich – zwar abgenutzt, aber unverändert sauber – sich immer noch so weich auf den Fußsohlen anfühlte wie in seiner Kindheit. „Aber ich würde heute Nacht gern ein paar Stunden schlafen. Also lieber nicht.“
„Dann einen koffeinfreien?“ Callie Barlow wäre nicht Callie Barlow, würde sie leicht aufgeben.
„Trink du einen.“ Er folgte ihr in die kleine Küche, die nur geringfügig größer war als die Kochnische in seiner Wohnung. „Ich setze mich ein paar Minuten zu dir.“
Callie, die immer noch ihr Cowgirl-Outfit mit Fransen anhatte, drehte sich kurz zu ihm um und lächelte. „Fein. Wenn ich so richtig auf den Putz haue, bin ich danach immer ein bisschen melancholisch.“
Und wieder war es ihr gelungen, ihn zu überraschen.
Er ließ sich auf einen der roten Plastikstühle fallen, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme, während Callie eine Tasse und die Dose mit dem koffeinfreien Kaffee aus dem Schrank holte. „Warum wirst du melancholisch?“, erkundigte er sich.
„Mit Partys ist das so eine Sache“, erklärte sie. „Sie lassen mich eine Zeit lang vergessen, dass ich zu Hause dann doch wieder allein bin.“
Slade gab es einen Stich ins Herz. Allerdings bemühte er sich, es sich nicht anmerken zu lassen. Immerhin hatte Callie ihren Stolz. Sie wäre gekränkt, sobald sie den Eindruck bekäme, er hätte Mitleid mit ihr. „Du brauchst nicht allein zu bleiben“, sagte er ruhig. „Sogar in diesem Nest gibt es jede Menge Männer, die dir liebend gern einen Ring an den Finger stecken würden.“
„Oder durch die Nase“, fügte Callie schelmisch hinzu. Dann kicherte sie. „Ja, ich könnte wieder heiraten.“ Sie schwieg nachdenklich. „Wenn ich mich binden wollte.“
„Hast du John Carmody geliebt?“, fragte Slade, nachdem sie beide eine Weile ihren Gedanken nachgehangen hatten. Er hatte ihr diese spezielle Frage eigentlich nicht stellen wollen, doch jetzt stand sie zwischen ihnen im Raum.
Callie, die gerade dabei war, ihre Kaffeetasse in die Mikrowelle zu stellen, hielt kurz inne und sah sich zu ihm um. „Natürlich“, antwortete sie mit leiserer Stimme als sonst. „Ich habe doch sein Kind auf die Welt gebracht, nicht wahr?“
Slade schloss einen Moment die Augen. Er spürte, wie es hinter seinen Lidern brannte. „Liebe und Kinder gehören nicht unbedingt zusammen“, erklärte er mit belegter Stimme. „Damals nicht und auch heute nicht.“
Callie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Der Instant-Kaffee in der Mikrowelle schien vergessen. „Ich habe John sehr wohl geliebt“, flüsterte sie. „Und ich glaube, er hat mich auch geliebt.“
Verächtlich schnaubte Slade. „Dann hatte er ja eine sehr überzeugende Art, es zu zeigen“, stellte er leicht spöttisch fest. Er nahm sich in seinem Zynismus bewusst zurück, weil er Callie nicht traurig machen wollte. Sie hatte in ihrem Leben schon genug mitgemacht.
Callie schien an damals zu denken. Um ihren Mund spielte ein sanftes, abwesendes Lächeln. „Das verstehst du nicht. Und das kann man dir auch nicht verübeln.“
Das Piepen der Mikrowelle riss Callie aus ihren Gedanken. Sie sprang sofort auf, war wieder ganz im Hier und Jetzt und brauchte offensichtlich dringend ihren Kaffee.
„Es tut mir leid.“ Slade meinte es aufrichtig. „Dass ich ihn erwähnt habe.“
„Du denkst über deinen Vater nach …“ Callie kam mit der Kaffeetasse, die zwischen ihren Händen dampfte, zurück an den Tisch und setzte sich, „… weil du immer angenommen hast, du wärst ihm egal. Und jetzt hat er dir aus heiterem Himmel ein Vermögen und die halbe Ranch vererbt. Es ist ganz normal, dass du – unter anderem – verwirrt bist.“
Sie wollte auf irgendetwas Bestimmtes hinaus, doch Slade wusste nicht genau, was es war.
Also wartete er einfach ab. Er war sich sicher, dass sie es ansprechen würde, wenn sie so weit war.
„Möchtest du denn wirklich Whisper Creek …“, begann sie schließlich, „… oder willst du Hutch einfach das Leben schwer machen, weil er der eheliche Sohn ist, den John immer bevorzugt hat?“
Slade hatte mit zusammengebissenen Zähnen zugehört. Er bewegte sein Kinn ein paarmal hin und her, um die Muskeln zu lockern. „Ich habe keine Ahnung“, gab er zu, weil er nun mal nicht lügen konnte – auch dann nicht, wenn es leichter und sogar besser wäre, nicht die Wahrheit zu sagen.
„Meinst du nicht, du solltest es herausfinden?“, fragte Callie sofort.
Die
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