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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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war) und zog sich von einer Art von »Würg mich grün«-Übelkeit erfüllt in ihr Zimmer zurück, aber auch von einem kribbelnden Gefühl der Selbstsicherheit und Macht erfüllt. Sie würde nicht mehr belästigt werden. Die Neuigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Sarah hatte zusätzliche Strafe erhalten und würde fortan unbehelligt bleiben.
    Die Tür ging einen Spalt auf, ein greller Streifen Neonlicht raste über das staubige Linoleum. In dem Zimmer war es still.
    Die Tür wurde ein Stück weiter geöffnet. »Spike? Ich bin es. Nicht rauslaufen, Kätzchen.«
    Nun wurde die Tür ganz geöffnet, eine große, schlaksige Gestalt trat rasch ein, schloß die Tür und schaltete eine schwache Leselampe ein. »Spike, schläfst du? Was hast du nun wieder angestellt?«
    Er fand das Kätzchen unter dem Bett, neben dem umgekippten Teller Rattengift, der eigentlich gar nicht da sein sollte. Spike war erst ein paar Minuten tot, der Körper noch so warm, daß Casimir glaubte, das Tier könnte durch zärtliches Kraulen wieder ins Leben zurückgeholt werden. Er saß eine Weile vor dem Bett auf dem Boden und wiegte Spike, dann hörte er auf und ließ den winzigen Kadaver auf seinem Schoß liegen.
    Sein Zwerchfell wurde von Kontraktionen zusammengezogen, die Lunge in Schüben entleert. Er zappelte atemlos herum, stützte sich auf der Bettkante auf die Ellbogen, sog schließlich etwas Luft ein und stieß sie schluchzend wieder aus. Er rollte sich auf das Bett, und das Schluchzen wurde schneller und lauter. Er vergrub das Gesicht im Kissen und schluchzte und schrie länger, als er registrieren konnte. Er schüttete alles aus in das Standard-Kopfkissen der Amerikanischen Megaversität: Sharon, Spike, die Entweihung seines akademischen Traums, seine Einsamkeit.
    Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, fühlte er sich leer und ausgehöhlt, aber seltsam entspannt. Er wickelte Spike in eine Mülltüte und legte ihn in eine leere Taschenrechnerverpackung, die er mit Klebeband verschloß. Er hielt sie in Händen, während er aus dem Fenster sah. Um ihn herum ragten in ebenmäßigen Reihen die Tausende Fenster der Türme empor; mit seinem tränenverschleierten Blick schien es ihm, als stünde er in einem brennenden Wald.
    »Spike«, sagte er, »was, zum Teufel, soll ich nur mit mir anfangen? Ja. Okay. Genau das wird es sein.
    Tja, Spike, nun muß ich etwas unglaublich Großes vollbringen. Etwas Unmögliches. Etwas, das sich dieser Abschaum nicht einmal vorstellen kann. Zum Teufel mit den Zensuren. Es gibt viel bessere Möglichkeiten, zu beweisen, wie klug man ist. Ich bin schlauer als alle anderen Wichser hier, scheiß auf die Regeln.«
    Er riß sein Fenster auf. Draußen tobte ein Krieg der Türme: Studenten brüllten einander an, leuchteten mit Lichtern und Lasern in gegenüberliegende Zimmer, ließen die Stereoanlagen über die Klüfte hinweg plärren. Und dann schwoll als Kontrapunkt der Schrei Casimir Radons über den Tumult hinweg an.
    »Ihr könnt es so schwer machen, wie ihr wollt, so schwer, wie ihr könnt, aber ich werde der schlaueste Scheißkerl sein, den diese Uni je gesehen hat! Ich kann euch alle wie Idioten aussehen lassen, verdammt!«
    »Leck mich!« ertönte ein langgezogener Schrei vom F-Turm. Es war genau das, was Casimir hören wollte. Er machte das Fenster zu und saß in der Dunkelheit, um nachzudenken.
    Um vier Uhr morgens war alles ruhig, nur Sarah war schon aufgestanden und machte ihre Wäsche fertig. Es war nicht nötig, das um vier Uhr morgens zu machen – man konnte bis sechs oder sieben noch freie Maschinen finden –, aber das war eben Sarahs Tageszeit. Um diese Zeit konnte sie wie ein übernatürliches Wesen durch die Flure gehen (oder, wie sie es formulierte, »wie ein natürliches Wesen an einem unter-natürlichen Ort«). Auf den Fluren traf sie die Benommenen, zum Urinieren Aufgestandenen, die halbtot zu den Toiletten torkelten, und die sahen sie, angezogen und adrett, an, als wäre sie ein Mondstrahl, der es um ihre Zimmer herum geschafft hatte, um ihnen in die Gesichter zu scheinen. Die ultraspäten Partybesucher schwebten rülpsend und schlurfend, von Alkoholkonsum gezeichnet, in ihren schicken Sachen vorbei, und die nüchterne Sarah in ihrer weichen Kleidung und den Turnschuhen konnte zwischen ihnen hindurch tanzen, ehe sie ihre Anwesenheit überhaupt registrierten. Die klügsten Streber und Medizinstudenten, die mit den Fahrstühlen von nächtlichen Exkursionen nach Hause fuhren, waren so

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