Biker's Barbecue (German Edition)
Der Wind hat mich zermürbt, scheinbar sämtliche Windungen meines Hirns glatt geblasen – ein stumpfer, müder Tretroboter. Kurz bevor ich in bodenlose Lethargie stürze, passiert mit Stefan irgendetwas, das ich mir noch Monate nach unserer Reise nicht befriedigend erklären kann: Mit einer Kraft, die mir in unserem Zustand völlig unwirklich vorkommt, zieht er plötzlich kommentarlos an mir vorbei. Selbst in seinem Windschatten habe ich Mühe, das Tempo zu halten. Ich kann einfach nicht glauben, dass er auf mich warten würde, wenn ich einfach schlappmache, und rede mir deshalb ein, dass ich keine andere Wahl habe, als an ihm dranzubleiben. Tatsächlich „zieht“ mich Stefan wie an einer unsichtbaren Schnur in einem Gewaltakt die letzten 24 Meilen bis Einbruch der Dunkelheit nach Arco.
Im letzten Tageslicht rollen wir in die Stadt. Arco feiert gerade 50 Jahre Atomifizierung (der Welt allererstes Kaff mit Atomstrom, schau, schau!). Nach einer anfänglich missglückten Herbergssuche gewährt uns schließlich ein Baptistenpfarrer Unterschlupf im Turnsaal seiner Kirche (es gibt eben noch so viel über die praktische Umsetzung von Glauben und Religion zu lernen).
Auf der Suche nach einem ordentlichen Abendessen laufen wir die ganze Stadt ab. Aufgebohrte, röhrende Achtzylinder-Fords machen mit ihren halbwüchsigen Insassen jede Straßenüberquerung zum Abenteuer. Drinnen, in den Lokalen und Bars, verstecken sich jung gebliebene Greise unter Cowboyhüten.
Ich hab noch nie so viele nagelneue dunkelblaue Levis-501-Jeans auf einen Haufen gesehen – außer beim Levis-Händler meines Vertrauens. Und diese peinlichen, nietenbesetzten weißen Cowboystiefel überall!
Auf dem Rückweg schießt auf einmal eine riesige Sternschnuppe über den Himmel. Weil das Ding auf alle Fälle gute zehn Sekunden lang zu sehen ist, bleibt uns genug Zeit, einen kleinen Wunschkatalog durchzubeten. Punkte eins bis drei auf der Liste – Essen, Unterkunft und Gartenschlauch – haben sich für heute allerdings bereits erfüllt.
Das letzte Stück
In unseren bisherigen Routenbeschreibungen hat sich der letzte Satz immer ungefähr so angehört: „… dann Yellowstone und nachher runter nach San Francisco.“ Wir sind also schon auf der Zielgeraden. In der Tat: Nicht einmal 1200 lächerliche Meilen liegen jetzt noch vor uns.
Bloß: Dieser letzte Abschnitt begann wie ein Keulenschlag. Arrogant sind wir geworden; als ob sich die letzten 2000 Kilometer ganz von selber radelten. Tatsächlich gingen uns nach der langen Pause in St. Anthony die ersten 90 Meilen nur allzu schwer von der Hand. Beim Kartenstudium stellen wir uns die nächsten zwei Tage gemütlicher vor: Die Städte haben angenehmere Abstände; nur 140 Meilen durch zwei – das ist machbar.
Aber auch solche Prognosen haben sich schon oft genug als falsch erwiesen. Auf alle Fälle ist es noch immer kein Spaziergang bis San Francisco. Noch sind wir nicht da. Es kann noch alles passieren. Wie in Yellowstone.
21.
Head like a hole Nine Inch Nails
Ein Tag, so bunt wie der Regenbogen. Am Anfang der Palette stehen jedoch Grautöne …
Wieder den ganzen Tag Gegenwind. Stefan hat deswegen Schreianfälle, und ich muss mich sehr zurückhalten, nicht ebenfalls auszuzucken, bleibe aber nach außen hin seltsam ruhig: Das beste Beispiel dafür, dass Stefans Verhalten bei mir immer eine Gegenreaktion auslöst und umgekehrt.
Ich übe das Fahren in Trance. Gestern habe ich mehr Kräfte verbraucht, als mir eigentlich zur Verfügung standen (gut geblufft …). Dafür bin ich jetzt todmüde; es kostet mich schon Mühe, überhaupt auf die Straße zu sehen.
Stefan hat seine Kreditkarte wirklich verschmissen. Ich rufe von einer Tankstelle aus zu Hause an, um mir etwas Rückhalt in meiner von plötzlichem Heimweh durchtränkten Übellaunigkeit zu holen.
Von Arco, der Stadt der Atompioniere, fahren wir heute rund 120 Kilometer bis nach Hailey. Endlose Kartoffelfelder fließen über den Horizont hinaus in den blauen Himmel und schwappen an unsere Straßenkante wie gegen eine Hafenmauer. Ein zarter nebeliger Schleier liegt über der Landschaft. Mittendrin die sanften Hügel Idahos. Und wieder Kartoffelfelder. Dazwischen das Zischen der riesigen Bewässerungsanlagen. Schließlich wieder Sagebrush-Wüste.
In den Sträuchern am Straßenrand sitzen unsichtbare Käfermännchen und klappern paarungswütig mit den Flügeldeckeln. Ihr Lockruf klingt jedoch weniger wie erwartungsvolles Luststöhnen, eher
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