Bilder Aus Dem Berliner Leben
1855.« Dieses Denkmal, mitten in dem Gewühl von Menschen und dem betäubenden Gerassel von Karren und Wagen, welches statt der früheren Einsamkeit und Öde jetzt hier herrscht, bezeichnet die Stelle, wo einhundertfünfzig Jahre lang das Armenhaus und Hospital gestanden hatte, nach welchem, bis Ende der dreißiger Jahre, die heutige Auguststraße »Hospitalstraße« hieß. Ringsumher lag der Armenkirchhof, der, nachdem bereits zuvor auf dem von der Armendirektion angewiesenen Baugrund die heutige Kleine Hamburger und Kleine Auguststraße entstanden waren, um die gleiche Zeit, in den fünfziger Jahren, in den Koppenplatz verwandelt und durch Abbruch des Hospitals in direkte Verbindung mit der Auguststraße gebracht ward.
Auf dem Fidicins Buch über Berlin beigegebenen Plane vom Jahre 1842 ist der Koppenplatz noch als »Armen-Kirchhof« mit Kreuzen bezeichnet, und auch das verrufene »Türmchen« war noch da, jenes Armenhaus und Hospital, dessen Hausvater der Totengräber war und dessen Leichen zur Sektion an die Anatomie abgeliefert werden mußten. Dieser dunkel-mysteriöse Platz spielt in Gutzkows Buch »Aus der Knabenzeit« eine Rolle. Als der Knabe schon zur Schule ging, verführte ihn eines Tages ein Kamerad, zum Rosenthaler Tor hinauszuwandern. »Die Gegend war entlegen genug. Das Vogtland hatte den übelsten Ruf. Auf dem Wege dorthin lag ein niedriges altes Haus mit einem Türmchen ... das in geheimnisvoller Wechselbeziehung zu demwestlichen Quadratflügel der Akademie In diesem Flügel der Akademie, nach der Charlottenstraße, befand sich damals die Anatomie, dicht daneben war und ist heute noch der Königliche Marstall; und hier, in diesem Teile des Gebäudes, an der Ecke der Universitätsstraße, gegenwärtig mit einer von der Stadt gewidmeten Gedenktafel bezeichnet, ward Gutzkow geboren, dessen Vater erster Bereiter des Prinzen Wilhelm, des jetzigen Kaisers, war. stand. Zwischen dem Türmchen und der Akademie ging in stillem Abenddunkel ein polternder, dumpfhallender Karren. Da bringen sie schon wieder einen! sagte der Vater, wenn unterm Fenster um die neunte Stunde das Rollen des schauerlichen Wagens erklang. Dann war es ein Selbstmörder oder ein Hospitalit, der zur Anatomie vom Türmchen geliefert wurde oder von der Anatomie schon geöffnet, zerschnitten und stückweise wieder zurück zum Türmchen gefahren wurde, um dort sein Grab zu finden.« Es waren traurige Gräber, »hie und da mit dünnem, verbranntem Rasen bedeckt, doch alle namenlos, ohne Kreuze, ohne den Schatten eines Baumes, den Schmuck einer Blume«.
Heute bietet der Platz einen anderen, fröhlicheren Anblick. Die Gräber und das Türmchen sind verschwunden; dafür sind Blumenbeete und Promenadenwege da und Bänke, auf welchen die Arbeiter ausruhen, wenn sie auf ihrem Heimwege hier vorüberkommen, und Kinder und kleine und große Häuser ringsum und der spitze Turm und das Kreuz der Sophienkirche, welche über den Häusern hereinschaut, und viel freundliches Grün von Gebüsch und Bäumen, welches weit in die Linienstraße, hinauf und herunter, gesehen wird. Und welch ein farbenreiches Bild neuesten Berliner Lebens, wenn man auf den Platz vor dem Rosenthaler Tore hinaustritt – desjenigen Lebens, welches überall in dieser großen Stadt pulsiert, nirgends aber, zu gewissen Stunden des Tages, stärker, intensiver als hier. In Frühlingsabendsonne getaucht, liegt dieser weite Platz, inwelchen fünf Straßen münden. Rechts und links öffnen sich die Lothringer und die Elsässer Straße, zwischen oder hinter deren hohen, schönen Gebäuden kaum noch ein Überbleibsel der alten Kommunikation, Schuppen, Schornstein oder nackte Brandmauer, sichtbar ist, in der Mitte boulevardartig mit Bäumen bepflanzt, die hier, in der Breite des Bodens und freien Zirkulation der Luft, vortrefflich gedeihen. Und welches Durcheinander von Pferdebahnwagen, Omnibussen und Menschen! Denn dies ist die Stunde, wo die Fabriken schließen und die Arbeiter heimkehren; und wenn man um diese Zeit in die Linienstraße hinein, etwa bis zur Gollnowstraße gehen wollte, so würde man es, bei der Enge dieser Straßen und ihrem schmalen Trottoir, oft schwer genug finden, überhaupt vorwärts zu kommen. Denn die ganze Schar der Arbeiter wälzt sich hier in dichter Masse dem Wandernden entgegen. Sie kommen vom Nordosten der Stadt und ziehen alle gegen Norden. Hier aber spaltet sich der Strom, und ein Arm desselben, in immer noch starkem Volumen, geht zum Schönhauser Tor, der
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