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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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Nationalgalerie sich jetzt erhebt, eine verwitterte Rotunde stand mit der halb herabgebröckelten Inschrift: »Königliches Gesundheitsgeschirr«; als auf dem Hackeschen Markte Verkaufsbuden und Metzgerscharren und an der Peripherie der Stadt, hier im Norden, dicht hinter der Linienstraße, die Mauern und die Tore waren und jenseits derselben nur noch einzelne Straßenfragmente, Chausseen und Kirchhöfe. Dies alles mochte wohl noch aussehen, wie es vor hundert Jahren ausgesehen hatte – ein Rest des alten, zum Teil noch friderizianischen Berlins, dessen äußerste Straße, nach Norden hin, die Linienstraße war, die Grenzlinie, die Zirkumvallation der damaligen Spandauer- und Georgen- oder, wie sie seit Preußens erstem Könige (1705) hieß, der Königsvorstadt. –
    Hier, zwischen Hamburger und Rosenthaler Tor, lag nur noch eine Art von Arbeiterkolonie, das sogenannte Neu-Vogtland für die bei den vielen königlichen Bauten beschäftigten Maurer und Zimmerleute aus Sachsen und dem Vogtland, welche während des Sommers in Berlin waren und mit dem Winter in ihre Heimat zurückzukehren pflegten. Der Name des Vogtlandes hat sich noch lange für diese Gegend erhalten und mag erst allmählich, mit der völligen Neugestaltung derselben, abgekommen sein; aber ältere Bewohner wissen noch wohl, was er zu bedeuten hatte. Das Vogtland war eine verrufene Stätte der Armut und des Elends, in welche niemand sich gern hinauswagte. Ein Pamphlet vom Ende des vorigen Jahrhunderts (»Schattenriß von Berlin, 1788«) beschreibt es als »eine Vorstadt vor dem Rosenthaler Tore, die den größeren Diebesbanden von jeher zumSchlupfwinkel gedient hat«; und eine Beschreibung Berlins vom Ende der zwanziger Jahre (»Berlin, wie es ist«, Leipzig 1827) nennt das Vogtland »den eigentlichen Sitz, gleichsam das Hauptquartier des Pöbels ... Geht man durch eine der drei Straßen dieser Vorstadt, so sehen aus jedem Fenster eine Menge zerlumpter, schmutziger Gestalten.« Der ehemaligen Bevölkerung von Bauhandwerkern war hier ein hungerndes Proletariat von Webern, Wollspinnern und Tagelöhnern gefolgt, welche, von der übrigen Welt gemieden, dies Quartier gleichsam für sich allein hatten. Man scheute sich fast, davon zu sprechen; aber tief war der Eindruck, als zu Beginn der vierziger Jahre Bettina von Arnim in »Dies Buch gehört dem König« ihre herzzerreißenden Schilderungen aus dem Vogtlande veröffentlichte. Sie war dort gewesen, die tapfere, kleine Frau mit dem menschenfreundlichen Herzen, hatte das Vertrauen der Leute sich erworben und die Geschichte ihres Jammers sich erzählen lassen; in den vergilbten Blättern, wenn man sie heute liest, ist noch immer der Geruch von ungesunden, dumpfen Stuben und von Lumpen. So hab auch ich Ende der fünfziger Jahre das Vogtland noch gesehen – kahl, trostlos, ein Bild, um einem im Traume den Atem zu benehmen die großen traurigen Familienhäuser, in welchen viele Hunderte dieser Armen zusammengepfercht waren, und die nicht minder traurigen kleinen, einstöckigen Häuser, deren Fenster und Dach den Erdboden fast berührten und durch deren Türen man hinunterstieg wie in einen Keller. Einzelne derselben kann man noch heute dort finden, zwischen den modernen, hohen, palastähnlichen Gebäuden, welche den Platz des alten Vogtlandes bedecken, seitdem im Jahre 1872 die Stadtmauer abgebrochen und die Tore niedergerissen worden sind.
    In dieser jüngsten Vorstadt von Berlin, welche wirklich in ihrer jetzigen Erscheinung nicht viel über zwanzig Jahre zählt, steht in einem sehr merkwürdigen Gegensatz die benachbarte Linienstraßengegend, über welcher, an einigen Stellen, noch der Hauch des Alten und Altertümlichen liegt. Das beherrschende Bauwerk derselben ist die Sophienkirche, seltsam, barock, im Geschmacke Friedrichs I., nach dessen dritter Gemahlin Sophie Luise sie genannt ist. Diese Kirche liegt noch inmitten eines unserer volkreichsten Quartiere, von ihrem Friedhof umgeben wie in einem Garten – alte, hohe Bäume sind rings um sie her und wohlerhaltene Gräber mit Blumen und Efeu, mit Gittern und wunderlich altmodischen Denkmälern, über welchen der Turm, gleichfalls im prunkhaften Zopfstil des vorigen Jahrhunderts emporragt. Hier ruhen – oder hier ruhten – Ramler und die Karschin; denn nur noch ihre Gedenktafeln an der Sakristeiwand sind erhalten. Hier ist Zelter begraben, Goethes Zelter. Es ist ein Stück achtzehntes Jahrhundert, eingehegt und eingefriedigt mit seinen alten Grabhügeln und

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