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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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Wipfel,
Wechselten Worte sie noch, so lange sie konnten, und sprachen
Beide zugleich: »Leb wohl, o Gemahl!«
    Es ist gut, daß ich nicht weit mehr von Hause bin. Vom Turme des Kirchturms herab schlägt es acht, und vor der Routine des Tages verblaßt die Poesie der frühen Leute. Die Briefträger machen die erste Runde; die Herren Barbiere sind in vollem Trab; die gelben Wagen des heiligen Stephan, die braunen der Paketgesellschaft, die dunkelgrünen und olivenfarbenen des Magistrats, des Kammergerichts und der Ministerien beginnen ihren Dienst, mit unleidlichem Rasseln sausen die Metzgerwagen um die Ecken herum, und das melodische »Kooft Sand! Sand! Sand!« klingt hinter ihnen her.
    Bei diesem Rufe pflegt Berlin sich aus dem Schlafe zu erheben; aber wenn diejenigen, die sich jetzt, noch verdrießlich von dem letzten Souper, die Augen reiben, wenn sie wüßten, welch auserlesene Genüsse diese erste Stunde des Wintertages in sich birgt, vielleicht daß sie's auch einmal versuchten, und wär es auch nur, weil der Morgenkaffee und die Morgenzigarre wahrscheinlich in ganz Berlin niemandem besser schmeckt als uns, den frühen Leuten!

Der Norden Berlins
    (Mai 1884)
    Unter allen Weltgegenden unserer Stadt ist es diese, von welcher man in den übrigen am wenigsten weiß; woraus indessen noch nicht folgt, daß die Bewohner derselben recht haben, wenn sie den Norden als das »Stiefkind« Berlins darzustellen lieben. Ein Blick auf den Plan genügt, um zu zeigen, daß das Areal dieses Stadtteils umfangreicher ist als das irgendeines anderen in Berlin; und ein zweiter Blick an Ort und Stelle selbst wird uns zeigen, daß auch hier Magistrat und Stadtverordnete die guten Väter sind, welche keinen Unterschied machen in der Sorgfalt und Liebe für die jüngeren oder älteren Sprößlinge.
    Wohl ist dieses ungeheure Terrain noch weit davon entfernt, mit Häusern bedeckt zu sein, und das meiste, was vorhanden, neuer Anbau, nicht älter als das Jahr 1861. Gewaltige Lücken gähnen noch dazwischen, offenes Feld, Heide; Straßen, kaum in den ersten Anfängen bezeichnet. Nach allen Richtungen gelangt man bald ins Freie, wo sich nur noch in beträchtlichen Abständen voneinander, hier oder dort, ein Haus erhebt, dessen Zusammenhang mit Berlin durch den allgemeinen Baucharakter oder das Straßenpflaster oder die Stränge der Pferdebahn angedeutet wird. Aber eines Tages wird der leere Raum ausgefüllt, Feld und Heide werden verschwunden sein unter einer kompakten Häuser- undStraßenmasse; denn auch im Norden drängt die Bautätigkeit unaufhörlich vorwärts, er ist der Sitz einiger unserer wichtigsten Industrien: die Gegend, wenn nicht ausschließlich, so doch vorwiegend der Arbeiterbevölkerung, wo sie am dichtesten beisammen ist und wo man sie am besten in der Nähe sehen kann, bei der Arbeit sowohl als in den Feierabendstunden – ein Stadtteil, sehr verschieden nicht nur von dem opulenteren Zentrum und Westen, sondern auch von dem besser bewohnten, gewerbereichen Osten und Süden – ein Stadtteil obendrein, in welchem man stärker als irgendwo sonst in Berlin den frischen Mörtel- und Kalkgeruch des Werdenden hat und selbst die gewohnten Erscheinungen unter einem Lichte sieht, welches ganz neue Seiten derselben und des Lebens in Berlin überhaupt hervorhebt.
    Der Norden von Berlin wird nach der Stadtseite hin durch die Straßenzüge begrenzt, welche sich vom Oranienburger Tore bis zum Prenzlauer erstrecken. Oranienburger Tor, Hamburger Tor, Rosenthaler Tor, Schönhauser Tor; Prenzlauer Tor – dies alles ist Norden von Berlin. Die Namen der Tore sind geblieben, obwohl diese selbst gefallen. Aber es ist noch nicht lange her und man kann an den Bezeichnungen leicht ermessen, wie lange –, da war Berlin zu Ende, wo jetzt Elsässer und Lothringer Straße breit und prächtig wie Avenuen sich ausdehnen und damals schmale Pfade, mit allem Abfall der Nachbarschaft bedeckt, hinter einer trübseligen Stadtmauer die Kommunikation vermittelten. Sie hießen auch nicht Straßen, sondern »Kommunikationen« und gingen um die ganze Stadt herum; es gab eine Kommunikation am Potsdamer und am Anhalter Tor, wie hier eine Kommunikation am Rosenthaler und am Prenzlauer Tor, und ihr Aussehen war überall dasselbe.Seltsame Erinnerungen werden in demjenigen wach, welcher zu der Zeit, als Omnibusse nur selten und Pferdebahnen noch gar nicht waren in Berlin, in diese fernen Gegenden wanderte; als an der Stelle, wo stolz über ihrem Treppenbau die

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