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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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der der Mutter Gräbert auf dunkelrotem Papier. Gespielt ward in ihremTheater wöchentlich nur viermal, und es mußte schon hoch kommen, wenn es ein Stück bei ihr über zwei oder drei Vorstellungen hinausbringen wollte. Denn die Bewohner von »Wollanks Weinberg« verlangten beständig Novitäten; sie gingen jede Woche viermal ins Theater, und viermal jede Woche wollten sie ein neues Stück sehen. Dieses anspruchsvolle Publikum war kein geringes: Es waren die reichgewordenen Schenkwirte, Bierbrauer, Schlächtermeister und Professionisten überhaupt, die sich hier auf dieser gesunden und luftigen Höhe zur Ruhe gesetzt hatten, mit behäbigen Frauen und gebildeten Töchtern, die mit Passion ihre »Mühlbach« lasen. Diese Leute – deren Nachkommen jetzt Gott weiß in welcher »feinen Gegend« des Westens von Berlin wohnen, Equipagen halten, Diners geben und das Opernhaus besuchen – betrachteten das Vorstädtische Theater als ihr Theater, und Mutter Gräbert war die Frau, die ihr Jahrhundert verstand – die echte Theaterprinzipalin; man wird ihresgleichen nicht wiedersehen! Es hatte einmal auch einen Vater Gräbert gegeben, und er hatte sogar das Theater gegründet; aber selbst für uns, die jüngere Generation, war er schon eine mythische Person geworden, und um seinen Namen, wie um den des Gründers von Rom, hatten sich ganze Sagenkreise gebildet.
    Seine Laufbahn begann in den Weißbierstuben Berlins, wo er komische Lieder sang und possenhafte Gedichte vortrug. Nach einiger Zeit hatte er sich so viel zusammengesungen, daß er ein Liebhabertheater vor dem Rosenthaler Tor erst mietweise, dann käuflich erwerben konnte; das Glück begünstigte ihn, das Geschäft blühte, und demnächst errichtete er das größere Theater auf dem Platze, wo das der Liebhaber gestanden. – Ein patriarchalisch-ökonomisches Verhältnis herrschte; Mutter Gräbert sorgte für die Küche des Etablissements und Vater Gräbert für das Weißbier und die Bühne. Ermachte das Repertoire, leitete die Proben, engagierte die Mitglieder. Er war ein eifriger Widersacher der Tantieme; seine Ausgabe für ein neues Stück betrug in der Regel einen – Silbergroschen. Denn die meisten seiner Novitäten bezog er aus der Leihbibliothek in der Großen Hamburger Straße. Sollte aber einmal in außergewöhnlichen Fällen ein Originalstück aufgeführt werden, so löhnte Vater Gräbert den Dichter mit zehn Talern Courant ab, wenn eine Mordtat darin vorkam, und mit fünf Talern, wenn dies nicht der Fall war. Auch das Honorar, welches er seinen Künstlern bewilligte, hielt sich durchaus im Preiscourant der alten Haupt- und Staatsaktionen: Einige bekamen nichts, andere acht Taler monatlich; die höchste Gage, die er zahlte, betrug fünfundzwanzig Taler. Durch solch weise Maßregeln entfaltete sich das Kunstinstitut vor dem Rosenthaler Tor zu einem ungeahnten Flor, und manch hübsches Talent, das diesen Ursprung später verleugnete, stieg aus seinem Podium empor. Am besten aber stand sich Vater Gräbert selbst; er kaufte das Grundstück neben seinem Musentempel, machte einen schönen Garten daraus, baute ein Sommertheater hinein und bewirtete in jedem Jahre zu des Königs Geburtstag fünfzig Invaliden, die er am Ende des Gastmahls noch mit einem Taler beschenkte. Als nun aber Vater Gräbert nach so rühmlichem Leben sein Stündlein nahen fühlte, da ging er nicht etwa in sich wie wir anderen Sünder insgemein, sondern er fing an – Austern zu essen. Da konnte man ihn an jedem Morgen in der langen Vorderstube seines Etablissements sitzen sehen, Rollen austeilend, den Speisezettel entwerfend, seufzend über die Nichtigkeit des Daseins und – sechs Dutzend Austern vor sich. Es liegen keine genauen Berichte darüber vor, wie lange und wieviel Austern er gegessen; aber das Mittel mußte probat oder, als er es zu gebrauchen anfing, sein Endenoch nicht so nahe gewesen sein. Denn in der Wehmut seines Herzens baute er aus den Austernschalen Tempel und Altäre zum Schmucke seines Gartens auf; und wenn auch die undankbare Nachwelt so grausam war, die frommen Denkmale dieses Erzvaters zu zerstören, so hatte sich doch wenigstens eine von diesen Muschelgrotten, groß genug für eine büßende Magdalene oder zwei, mit einem Kreuz auf dem Dach und einem Kreuz an der Tür, erhalten, und ich selbst habe sie oft genug bewundert, wenn ich mit den übrigen Besuchern des Theaters zwischen einem Akt und dem anderen hinauskam in den Garten. Wie dem nun auch sei – endlich mußte

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