Bilder Aus Dem Berliner Leben
andere zum Rosenthaler. Tausende ziehen an uns vorüber, zumeist Männer, jeder mit seinem Blechkesselchen in der Hand, viele von ihnen bleich, hager, leidend; doch auch Frauen darunter, solche, die hier meistens in der Textilindustrie und Konfektionsbranche beschäftigt sind, Blumenmacherinnen, manche frischere, hübsche Erscheinung unter ihnen, Putzmacherinnen, Schneiderinnen, einige von ihnen ganz modisch gekleidet und alle sauber. An den Straßenecken stehen an diesen Frühlingsabenden Kinder, welche ihnen Flieder verkaufen, den Busch für fünf Pfennige; und hinter ihnen her fahren kleine, niedrige Wagen mit einer Frau darin, die einen braunen, breiten Strohhut trägt wie die Marktfrauen, und einem Mann voran, in hohen Tönen beständig etwas rufend, was für den Uneingeweihten erst allmählichverständlich wird: »Bücklinge kauft! Bücklinge kauft, kauft, kauft!« Dieser Wagen bringt den kleinen Leuten die Leckerbissen zu ihrem Abendbrot: Radieschen, Rettiche, Grünzeug, Heringe, Flundern und vor allem Bücklinge, die große Frühlingsdelikatesse dieser Gegenden. Die Haupt- und Geschäftsstraße, der Basar des Nordens, ist die Brunnenstraße, namentlich in ihrem unteren und ältesten Teil, etwa bis zur Veteranenstraße. Hier ist Laden an Laden, und am Abend, wenn die Lichter funkeln, blitzt und schimmert es hinter den Fenstern, vor denen auf beiden Seiten eine kauf- und schaulustige, wenig verwöhnte Menge hin und her wogt. Hier sind auch die großen sogenannten »Waren-Abzahlungs-Geschäfte«, welche durch ganze Stockwerke reichen und in denen man – auf Borg! – alles haben kann, von einem Hemdenknopf angefangen bis zu kompletten Ausstattungen und Hauseinrichtungen. Ob das System für den Arbeiter das richtige, ja nur überhaupt ein empfehlenswertes sei, vermag ich nicht zu sagen; es wird viel von der Anwendung im einzelnen Fall abhängen. Mein Vorhaben, ein solches Etablissement kennenzulernen, »Berlins größtes, feinstes und reellstes«, wie es sich auf seinen massenhaft zur Verteilung kommenden gelben Zetteln nannte, ward durch ebenden Mann vereitelt, der sie verteilte. »Ach, Sie jehen ja da nich hin«, sagte er, indem er mich von oben bis unten mit einem Blicke voll Verachtung und Mißtrauen musterte. Doch sei schon hier bemerkt, daß mir von Seiten unserer Arbeiter, so häufig ich auch auf diesen Wanderungen mit ihnen zusammengetroffen bin, niemals unfreundlich oder nur unhöflich begegnet worden. Wenn man sie um Auskunft fragt, so bleiben sie stehen auf den Straßen oder erheben sich von ihren Sitzen. Rußig und müde, wie sie sind, rücken sie zusammen und machen Platz auf den Bänken – was die feineren Herren im Tiergarten und in denPferdebahnwagen nicht regelmäßig tun, nicht einmal vor Damen. – Man kann sich getrost unter diese Leute setzen und ein Gespräch mit ihnen anknüpfen, sie werden immer ruhig und vernünftig antworten. Nur muß man freilich vermeiden, ihnen aufzufallen, und sich nicht die Miene geben, sie beobachten zu wollen. »Wech da mit de Ojen«, rief mir ein bestaubter Bursche von einem Arbeitswagen herunter, als ich mir die Lorgnette aufsetzte, um ihn anzusehen; doch er war bald wieder versöhnt, als ich das Ärgernis entfernte und setzte gutmütig hinzu: »Na, wenn's weiter nischt is!« Und ein andermal, oben am Humboldthain, als dieselbe Lorgnette an einem Baume hängenblieb, ohne daß ich's wahrgenommen, kamen zwei junge Arbeiter raschen Schrittes auf dem einsamen Wege hinter mir her, bückten sich zur Erde, suchten, reichten mir, noch bevor ich Zeit gefunden, ein Wort zu sagen, das abgebrochene Stück und entfernten sich hierauf, zufrieden mit meinem Danke.
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Einsamer war es hier vor so viel Jahren, als man auf »Wollanks Weinberg« noch zwischen Gärten und Hecken wanderte; mannigfach waren die Attraktionen dieses weitentlegenen Bezirks und unter ihnen nicht die geringste für uns das Vorstädtische Theater der Mutter Gräbert. Wer weiß jetzt noch von dieser einst so populären Figur und wer noch von ihrem Theater, welches unter dem Namen »Germania-Theater« eine Weile gegen den Wind und das Wetter weiterkämpfte, bis es heut, an diesem Frühlingsnachmittag, als ein vollständiges Wrack vor mir liegt – eine Ruine, von der morgen nichts mehr zu sehen sein wird. Und ich hab es doch in seiner Glorie gekannt, in jenen besseren Tagen, wo noch nicht mehr als vier oder fünf Theaterzettel an den Anschlagssäulen erschienen und der schönste von allen
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