Bilder Aus Dem Berliner Leben
Vater Gräbert den Schauplatz so vieler Freuden, Gastmahle und Triumphe verlassen; und einem Modus in seinem Testamente gemäß, wurde er in einer Mitternacht unter Sang und Klang bei Fackelschein begraben.
Das Erbteil dieses ausgezeichneten Mannes fiel seiner Frau zu. Sie hatte sich bis dahin nicht bemerklich gemacht, still und sittsam vielmehr zwischen den Schmortöpfen des Untergeschosses gewaltet. Wie denn aber der Krieg sich seine Feldherren selbst erzieht und die Not es ist, welche groß und erfinderisch macht: so stieg nun auf einmal das Aschenbrödel von Wollanks Weinberg aus der Tiefe herauf – den Kochlöffel und die Weißbierflasche in der einen, den Zügel des Thespiskarrens in der andern Hand, und der Ruhm von Mutter Gräbert fing an, denjenigen des Vaters Gräbert zu verdunkeln. Eine rüstige Matrone mit aufgeschürzten Ärmeln und hochrotem Gesicht, so habe ich sie noch gekannt und gesehen, gleich vornan in der ersten Stube hinter dem Schanktisch, in der ernsten Ausübung ihrer dreifachen Pflicht begriffen – in die Küche hinunter kommandierend, die Kellner kontrollierend und nur dann und wann einmal verschwindend, um auf der Bühne Ordnung zu machen.
Lang, lang ist's her! – Neben dem ausgebrannten Nationaltheater, auf dessen altem Grund hinter Bretterverschlägen schon Neubauten emporwachsen – aber Mietskasernen, keine Musentempel mehr, denn die Musen, so scheint es, fliehen diese Gegend, welche sie doch einst so sehr geliebt! –, neben diesem Wirrwarr von Steinen und Gerüsten steht noch das ehrwürdige Haus der Mutter Gräbert; aber in welchem Zustand? An den beiden Pfosten der geschlossenen Eingangstür kleben die halbabgerissenen, halb vom Regen verwaschenen blauen, grünen und roten Zettel des »Germania-Theaters«, und darüber erhebt sich ein ominöses Brett, an welchem die Worte stehen: »Hier sind Baustellen und Gebäude auf Abbruch zu verkaufen.« Und ein roter Strahl der Frühlingsabendsonne färbt die Kastanien im Garten, welche jetzt noch einmal blühen, wie sie geblüht haben in unserer fröhlichen Jugend – aber zwischen Kalkgruben, aufgewühlten Erdmassen, frischem Mauerwerk und einem fast ganz schon zerstörten Gebäude im Hintergrund, über dessen einzig noch stehender Wand ich beim schwindenden Tageslicht die Goldinschrift erkenne: »Laetitia 1845.« Jetzt erhebt sich an dieser Stelle schon eine große Fabrik (1885). – und das ist das Ende von Mutter Gräbert.
Von der Zionskirche her aber läuten die Glocken; sie läuten das Pfingstfest ein, und überall in den Straßen ist ein rühriges Treiben und der liebliche Duft von Maien. Ich glaube nicht, daß man auf dem Lande sich so lebhaft mit dem Feste freut, »das da feiern Wald und Heide«, oder vielmehr diese Freude so lebhaft ausdrückt wie in der Stadt und vornehmlich der unsren, als ob der zurückgehaltene Natursinn der Stadtkinder nur eine Gelegenheit suche, um überzuquellen. Man weiß, wie dann nicht nur Haus und Hof mit frischen Maien bekränzt werden, sondern auch Flaschenbierwagen undMilchwagen, Arbeitswagen und Droschken, die kleinen Läden und die Keller; und hier, auf Wollanks Weinberg und wo sonst in Berlin gebaut wird, rauschen und wehen die grünen Büsche bis hinauf in die höchsten Spitzen der Baugerüste, ja sogar in den Steinhaufen, mit denen die Straßen gepflastert werden, stecken diese Zeichen des nahenden Pfingstfestes. Indessen kommen uns viele Frauen entgegen, alle beladen mit Maien, mit Kalmusstauden, mit schweren Körben und mancherlei Paketen, sie steigen vom Arkona-Platz herab, wo heute Markt ist und sie zum Fest eingekauft haben. Die großen Märkte in diesen Gegenden sind die Sonnabendmärkte, und sie werden am Nachmittag und Abend abgehalten, damit der Arbeiter auf seinem Heimwege sie benutzen kann. Ich entsinne mich noch aus früheren Jahren des Samstagabendmarktes auf dem Pappelplatz, einem kleinen Dreieck von Platz vor der Berg- und Ackerstraße, bunt von Lichtern und gedrängt voll von Menschen und Buden. Aber mit der wachsenden Ausdehnung und der zunehmenden Bevölkerung dieses Stadtteils ward der Pappelplatz allmählich zu klein befunden und der Markt von der alten Stelle nach dem neuentstandenen Arkona-Platz verlegt, einem geräumigen, luftigen Square, viel schöner und größer als jener – er mag im Umfang ungefähr dem Gendarmenmarkt gleichen –, mit hohen, neuen Häusern im Geviert und einer stattlichen Gemeindeschule, die sogar einen Turm hat als monumentalen Abschluß.
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