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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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Jahren. Alles, die Namen und die Zustände selbst, erinnerte hier an die Vergangenheit. Die Königstraße war nicht breiter als zu der Zeit, wo durch dieselbe Preußens erster König seinen triumphalen Einzug gehalten; die Neue Friedrichstraße nicht viel anders, als sie, mit ihren Nebenstraßen im Spandauer Viertel, aus den Händen von Friedrichs des Großen Baumeistern hervorgegangen war. Dazwischen lag ein Stück Mittelalter, so räucherig wie nur irgendeines – das einzige, welches sich in Berlin erhalten, kein besonders glänzendes oder erfreuliches, welches als Muster hätte dienen, keins, auf welches man seiner historischen Assoziationen oder gegenwärtigen Gestalt halber sich etwas hätte einbilden können. Aber trotzdem, wenn man sich in diese Straßenlabyrinthe begab, übersprudelnd von Leben, wenn nicht ganz so malerisch wie das Ghetto von Rom; wenn man nicht weit von der Stelle, wo das Patrizierhaus der Blankenfelde noch steht und das der Zehlendorf und Ryke gestanden hat, jenen geheimnisvollen, unnahbaren Hintergrund sich erheben sah – denn wer, dem sein guter Name oder nur sein guter Rock lieb war, hätte den Kleinen Jüdenhof mit seinen Dependenzen der Schmalen und der Kalandsgasseoder die Königsmauer, solange sie noch in ihrer Sünden Blüte stand, betreten mögen? –, trotzdem, sag ich, wenn man dies alles zusammennahm, hatte man hier, mitten in diesem völlig modernen oder modernisierten Berlin, was man in dieser Stärke sonst an keinem Punkte desselben haben konnte: das Gefühl eines anderen Jahrhunderts. Man sah es nicht an einem einzelnen Gebäude, man war durchaus von ihm umgeben. Das war es, was die Königstadt in ihrem bisherigen Zustand dem gelegentlichen Wanderer so überaus anziehend, in jeder andern Hinsicht aber ihre Umgestaltung von Grund aus so dringend wünschenswert machte. Die Steine selber, schwarz von Alter und triefend von Nässe, schienen zu rufen: Luft! Licht!
    Wo jetzt, als das beherrschende Gebäude dieses innersten Kerns von Berlin, die Zentralmarkthalle steht und mit einem Leben erfüllt ist und einer Sicherheit arbeitet, als ob sie hier, ich weiß nicht, wie viele Jahre oder Jahrzehnte gestanden hätte, da war vor kurzer Zeit noch ein wirrer Knäuel von engen Durchgängen und schmutzigen Straßen, in welche, wie gesagt, weder bei Tag noch bei Nacht ein anständiger Mensch sich gerne wagte. Das Wunder ist nicht, daß alles hier jetzt so sauber aussieht und so hübsch ordnungsmäßig vonstatten geht, sondern daß Sauberkeit und Ordnung so rasch und präzis wie mit einem Zauberschlag aus dem Chaos von Trümmerschutt und Steingeröll emporstiegen, welches wir hier seit dem ersten Beginn von Abbruch und Wiederaufbau – beides immer Hand in Hand – erblickten. Am 3. Mai des Jahres 1886, eine Stunde nach Mitternacht, sollte das Mirakel geschehen, und es geschah; und als wir am andern Morgen in die vom Frühlingssonnenschein durchleuchtete Halle traten, da schwammen die Fische so vergnügt in ihren Kübeln, hingen die großen Braten so verlockend an ihren Krampen, entsandten dieBlumen und die Käse so lieblichen Duft, standen die trefflichen Marktweiber, deren Bekanntschaft wir unter den historischen Regenschirmen des Ancien régime gemacht, so würdevoll in ihrem neuen Palast und rollten obenhin die Stadtbahnzüge mit so majestätischem Donner, daß wir demutsvoll die Augen niederschlugen und im Herzen dem Magistrat von Berlin Lob sangen, der dies alles so herrlich vollbracht. Nur eine Barrikade von vielen hundert übereinandergetürmten Rohrstühlen und Holztischen, ein ganzes Arsenal von Messern, Gabeln und landesüblichen Bierseideln in einer Ecke der obern Galerie zeugte noch davon, daß besagter Magistrat nebst allen Stadtverordneten und Bezirksvorstehern von Berlin in der vergangenen Nacht hier gezecht, um das große Werk seiner Bestimmung würdig zu übergeben, bis gegen eins, mit der letzten Minute der Geisterstunde, der entfesselte Strom der Arbeit, der hochbepackten Lastwagen und des ungeheuren, tobenden Zuschauermobs von Berlin in die Halle sich ergoß, der Festlichkeit ein jähes Ende bereitend und die schmausenden Väter gleichsam hinwegschwemmend – ein modernes Nacht- und Phantasiestück in der Manier von E. T. A. Hoffmann, der diese Szene zu sehen geliebt haben würde, wie er ja auch die Gegend zwischen Marien- und Nikolaikirche gut genug gekannt und in seiner Spukgeschichte von der »Brautwahl« vortrefflich geschildert hat.
    Dieses indessen, das

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