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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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stürmische Intermezzo, mit welchem Berlin von seiner Markthalle Besitz ergriff, war das einzige Stück, das im Programme nicht vorgesehen; seitdem geht alles seinen gemessenen, geschäftsmäßigen Gang, und nichts mehr erinnert weder an die E. T. A. Hoffmannschen Geister noch an die Kalandsbrüder und sonstigen Ehrenmänner, die einst hier hausten. Es ist alles wie fortgefegt, als ob es niemals gewesen. Haben wir selbst doch Mühe, den Zustand der Dinge, diewir vor wenigen Jahren, ja vor wenigen Monaten noch leibhaftig gesehen, uns zu vergegenwärtigen, den Zug und die Richtung der Straßen, in denen wir so oft gewandert, die Häuser, vor denen wir sinnend so manchmal haltgemacht. Es ist alles weg und dahin; und so kurz ist das menschliche Gedächtnis, daß wir in abermals zehn Jahren nur noch in den Büchern lesen werden, wie es hier ehedem gewesen. Und da der Magistrat, der doch sonst für alles sorgt, nicht dafür gesorgt hat, das, was hier nunmehr verschwunden ist, im Bilde zu verewigen, so will ich wenigstens einige Züge desselben festhalten. Schön waren Jüdenhof und Königsmauer und Kalandsgasse nicht – das weiß Gott; und rühmlich auch war ihre Geschichte nicht: Der Galgen und der Scheiterhaufen spielen eine beträchtliche Rolle darin, und was mit Blut begann, endete mit Unrat und dem lichtscheuen Gewerbe. Dennoch war dieses innerste Stück unserer Stadt ein Teil ihrer selbst, und zwar ein sehr charakteristisches – der einzige und letzte, wiewohl in Schmutz verkommene Rest des Mittelalters – et haec olim meminisse juvabit. Darum hab ich, von dem Moment an, wo das Urteil dieser Gegend gesprochen war, meine Schritte mit Vorliebe derselben zugewandt, bin immer und immer wieder zu ihr zurückgekehrt, habe sie, wie ein unglücklich Liebender, bald in weitem Bogen umkreist, bald, um bei ihren argwöhnischen Bewohnern keinen Verdacht zu erregen, mich durch ihre Gäßlein geschlichen; habe sie in jedem Stadium ihrer unaufhaltsam vorschreitenden Veränderung, bis von allem (einschließlich der gemütlichen Kneipe in der Papenstraße) so gut wie nichts mehr da war, besucht und will nun, was ich nach einer jeden solchen Wanderung mir aufzeichnete und aufschrieb, hier in gedrängtem Auszuge mitteilen. Der Berliner wird sich mit mir auf alles das gern noch einmal besinnen; und wer kein Berliner ist, daraus vielleichteine Vorstellung gewinnen von dieser merkwürdigen Phase des Berliner Lebens, in welcher das Heute vom Gestern durch einen so tiefen Abgrund getrennt wird, daß nur die Phantasie noch ausreicht, um eine Brücke hinüberzuschlagen. Scheint mir selber doch, indem ich in meiner Erinnerung um kaum zwei Jahre zurückgehe, als ob ich in eine ferne Vergangenheit wandern müßte!
    Denn als ich am Abend des 7. Juli 1884 hier ging, da war in ihrer ganzen Länge die Burgstraße noch intakt, da stand noch die alte Militärakademie, welche Friedrich der Große begründet, und gegenüber die alte Schloßapotheke mit ihren gotischen Giebeln und alten Bäumen, und auch die Cavalier- oder Sechserbrücke war noch da, von Fußgängern belebt, die gerade keine Kavaliere waren, aber auch keine Sechser mehr zu zahlen brauchten. Die Heiligegeistgasse, die heute mit den stolzen Gebäuden der Berliner Kaufmannschaft und dem stolzeren Namen der St.-Wolfgangs-Straße prunkt, prangte damals noch mit nichts als ihrer angestammten Baufälligkeit, kaum angenagt von der beginnenden Zerstörung; und das Joachimsthalsche Gymnasium an der Ecke der Heiligegeiststraße, wiewohl Lehrer und Schüler es längst verlassen und in seinen öden Klassenzimmern und Hörsälen sich allerlei Fabrikanten und Handwerksleute niedergelassen hatten, erinnerte doch mit seinem ehrwürdigen Grau noch immer an den Professor der Mathematik und schönen Künste, Sulzer, und die Nachbarschaft von Ramler und Lessing.
     . .  .  .  .
    Frühling und Sommer sind vergangen, und es ist Herbst geworden in Berlin. Wie lieb ich ihn, wenn er mit seinen klaren blauen Tagen und seinem sanften Sonnenscheine naht; wenn der wilde Wein vor meinem Fenster sich purpurn färbt und die Laubmasse des Tiergartens in bunter Pracht zu schillern beginnt – wenn manauch in dieser großen Stadt den Abschiedsblick der Natur empfindet, der so schön und so wehmütig ist, und manchmal schon von Norden her am Nachmittag hoch über unsern Häuptern eine Schar Wandervögel, unsere Sommergäste, dahinziehen sieht und, ihnen mit dem Auge folgend, Träume träumt, die auf keine Erfüllung

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