Bilder Aus Dem Berliner Leben
Straßen und Häuser waren, wandelt man streckenweit zwischen Bauzäunen, hinter denen die Grundmauern neuer Gebäude, den Anfangspunkt der Kaiser-Wilhelm-Straße bezeichnend, emporwachsen. An der Stelle des Joachimsthalschen Gymnasiums erhebt sich in stattlicher Höhe, fast schon vollendet, die neue Warenbörse – Handel und Wandel überall, die Warenbörse, wo Sulzer, die Fondsbörse, wo Ramler war; und dies Gäßchen, in welches Lessing ehemals von seinem Fenster aus hineingeblickt, jetzt zwischen beiden Börsen und mit dem Namen »St.-Wolfgangs-Straße« geschmückt, welchen ich heute zum erstenmal auf dem blauen Schild an der Ecke sehe. Verschwunden ist das ganze Straßenkarree, welcheseinst von der Kleinen Burg- bis zur Heiligegeistgasse reichte; jedoch auch das, was hier herum in der alten Gegend noch steht, erscheint so bedroht; auf Schritt und Tritt sieht man sich so von Häuserruinen und Brettergeländen umschränkt, daß man sich ordentlich freut, wenn man noch einem der gewohnten Anblicke begegnet – wer weiß, ob nicht auch ihm zum letztenmal? So das Haus Nr. 68 in der Spandauer Straße – das Haus der Mendelssohn. Da steht es noch, wie es gestanden hat vor hundert Jahren; der Baum freilich, unter welchem vor der Türe der gute Mann oftmals sinnend und sorgend in seinen letzten Jahren gesessen, ist nicht mehr da. Doch das Haus mit seinen vier Fenstern Front, seinen zwei bescheidenen Stockwerken und dem Dachkämmerchen darüber, der Schauplatz eines äußerlich stillen, aber an inneren Kämpfen reichen und trotzdem glücklichen Lebens, ist noch unverändert. Dieses Haus, heute gleichfalls am Rande des Abgrundes, der es wahrscheinlich verschlingen wird, nur noch zwei Häuser von dem Straßendurchbruch entfernt, sieht heute wohl mit seinen braunen, stark verwitterten Wänden ein wenig heruntergekommen aus gegen das, was es in meiner eigenen Erinnerung noch war; im Erdgeschoß ist ein Barbierladen, die Haustür steht offen, der Flur ist ausgetreten und die Gedenktafel über der Tür: »Hier lebte und wirkte Unsterbliches Moses Mendelssohn etc.« fast unleserlich geworden. Aber zu seiner Zeit muß es ein freundliches Haus gewesen sein, durchleuchtet von der Sonne des Familienglücks, der Nächstenliebe, der Gastlichkeit; ausgezeichnet durch den Besuch vieler erlauchter Geister und für immer geweiht durch die Gegenwart eines großen und edlen Menschen. Dieses Haus sah die jungen Humboldts zu den Füßen Mendelssohns. Sein vornehmster Schmuck aber war eine Büste Lessings; sie stand über dem Sofa in Mendelssohns Studierstube, deren beideFenster, eine Treppe hoch, man heute noch erkennt. »Lessings Büste war das erste«, schreibt Elise Reimarus an Jacobi (1783), »was beim Hereintreten mir in die Augen fiel.« Unter ihr, drei Jahre später, saß Mendelssohn, als er den Tod nahen fühlte, und unter ihr ist er gestorben. Guter, frommer, bescheidener Mann! Er war von einer rührenden, einer unsagbaren Bescheidenheit; er, den Goethe »einen unserer würdigsten Männer« genannt hat, nennt sich gegen Michaelis einen Juden, »dessen zeitliche Umstände es erfordern, niemandem, außer sehr wenigen Freunden für etwas mehr als einen Buchhalter bekannt zu sein«. Er stotterte und war bucklig. »Eine leutselige leuchtende Seele im durchdringenden Auge und einer äsopischen Hülle«, so beschreibt ihn Lavater; ein Mensch, »der durch seine Gestalt und sein Gesicht das roheste Herz zum Mitleiden bewegen konnte«, so Professor Kraus in Königsberg. Man hatte Gelegenheit, Bild und Büste dieses seltenen Mannes in der historischen Abteilung der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung (1886) nebeneinander zu sehen und zu studieren. Das Bild war von Graff, dem Maler Lessings und aller andren damaligen Berühmtheiten, die Marmorbüste von Tassaert. Letztere, welche Mendelssohn in seinen späteren Jahren darstellt, zeigt einen höchst ausdrucksvollen Kopf, in welchem die Natur selber der formenden Hand des Bildhauers gleichsam vorgearbeitet hat, eine stark ausgebildete Stirn mit vorspringenden Stirnknochen und eine prononcierte, jedoch nicht unedel gebaute Nase, lebhafte Augen, die noch aus dem Stein zu sprechen scheinen, einen halb geöffneten Mund, welcher dem ernsten Gesicht einen Schimmer, nicht mehr, von Freundlichkeit und Lächeln gibt, tiefe Falten auf den Wangen, drei Furchen über der Nase, wie eingegraben in die Wölbung der hohen, klaren Stirn, und nichts, was an den Juden erinnert, als ein Spitzbärtchen unter
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