Bilder Aus Dem Berliner Leben
solle. Der erste Faktor in dieser Umgestaltung der Königstadt war die Stadtbahn, und ihr zweiter ist die Kaiser-Wilhelm-Straße.
Von den großartigen Baudenkmälern unsrer Epoche wird, wenn sie vollendet, diese Straße das großartigste sein, in den Augen späterer Geschlechter vielleicht lange noch das erkennbare Zeichen für das Berlin Kaiser Wilhelms, dessen Namen sie trägt. Umgeben von den ehrwürdigen Erinnerungen an den Großen Kurfürsten und den imposanten Architekturen, mit denen Preußens Könige nacheinander ihre Residenz geschmückt, wird sie fast unabsehbar, in glänzender Linie die Linden bis an die Grenzen der Königstadt fortsetzen, den Pariser Platz in beinahe gerader Richtung mit dem Alexanderplatz verbinden und eine Straßenflucht darstellen, wie kaum eine zweite Hauptstadt Europas aufzuweisen hat – mit dem Grün des Tiergartens, durchschimmernd durch die Säulenhalle des Brandenburger Tors, dem Grün der Linden am Anfang, dem Grün des Lustgartens, ernst überragt von den Werken Nehrings und Schlüters, in der Mitte, und nun, mit kühnem Satz das Wasser überbrückend, das Wasser der Spree, sich Bahn brechend in das jenseitige Berlin hinein, und diesen ältesten Teil unserer Stadt, von jeher Sitz der bürgerlichen Arbeit und der bürgerlichen Verwaltung, mit einem Widerschein gleichsam dessen erfüllend, was schön und charakteristisch ist an unsern Königsbauten: mit verzierten Giebeln und Erkern und breiten, kronentragenden Kuppeln, mit kunstvoll verschnörkelten, flachgewölbten Fenstern und Portalen, mit breiten, umgitterten Balkonen und reich ornamentierten Fassaden.
Es werden auch Paläste sein, aber solche des Handels und der Industrie – große Läden, Magazine, Warenlager im Erdgeschoß und ersten Stock und darüber Wohnungen in bequemer Lage. Man konnte nicht eine Luxusstraße bauen wollen in dieser Gegend; die Kaiser-Wilhelm-Straße sollte vor allem einem Bedürfnis dienen: Es sollte durch sie der ungeheuer gesteigerte Verkehr desneuen, mächtig angewachsenen Berlins mit dem Mittelpunkte des alten entlastet werden. Zur Bewältigung desselben gab es bisher nur zwei Zugänge: den gänzlich ungenügenden des Mühlendamms und den auch längst nicht mehr ausreichenden der Königstraße. Die Linden sind zehnmal und einige von unsern Gürtelstraßen über elfmal so breit als diese Straße, die wichtigste Durchfahrt der Königstadt und eine der wichtigsten in Berlin überhaupt; in der Tat, so schmal ist sie, daß an einigen Strecken derselben für die Stunden, wo die Flut des Mittags sich durch sie wälzt und aus den einmündenden Straßen immer neue Nahrung von Fußgängern, Droschken, Omnibussen und Pferdebahnwagen empfängt, der Güterverkehr ganz eingestellt werden mußte. Die Notwendigkeit gebot, einen dritten Eingang zu schaffen, welcher den Anforderungen der Gegenwart und den Voraussetzungen der Zukunft mehr entspräche: Und dies war die Kaiser-Wilhelm-Straße.
Aber sie hatte nicht diese Bestimmung allein.
Der Gedanke der Kaiser-Wilhelm-Straße tauchte gleichzeitig mit dem Beginn der baulichen Umgestaltung Berlins unmittelbar nach dem Kriege von 1870/71 auf – ein Beweis, wie naheliegend er war; aber es dauerte nicht viel weniger als vierzehn Jahre, bevor man ernsthaft an die Ausführung gehen konnte – ein Beweis, welche Schwierigkeiten derselben entgegenstanden. In diesen vierzehn Jahren war Berlin eine neue Stadt geworden; es hatte sich nach Osten und Westen, nach Süden und Norden fast gleichmäßig ausgedehnt, und überall war für die Bewegung einer um das Doppelte vermehrten Einwohnerzahl Raum gemacht; Straßen waren erweitert, Straßen waren durchbrochen worden, und die neuen Vorstadtgebiete wetteiferten in der Zweckmäßigkeit ihrer Anlagen, in allem, was die Gesundheit der Bevölkerung und die Leichtigkeit der Zirkulation bedingt,mit den bevorzugtesten Teilen der Stadt und übertrafen sie noch.
Unberührt von diesem Wandel, der sich vor unsern Augen vollzog, bis wir uns daran gewöhnt hatten wie an das Alltägliche, blieb nur der innerste Kern unserer Stadt, der zugleich ihr ältester ist – Alt-Berlin oder die Königstadt. Ihre Gäßchen und Höfe waren noch so finster und feucht, so schmutzig, höhlenartig und, mitten in einer dezenten Umgebung, von einer solch unsaubern Gesellschaft bewohnt wie vor dreihundert Jahren; und ihre Hauptstraßen, die keinen geringen Teil des Reichtums von Berlin repräsentieren, hatten ein kleinstädtisches Ansehen wie vor hundert
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