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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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zu nehmen, einen kleinen Skat zu spielen oder die Zeche auszuwürfeln. Wenn ich die Knöchel rasseln und fallen höre, während die Mittwintersonne gelblich durch die Scheiben hereinscheint und mit dem Schimmer der Gasflammen sich mischt, dann überkommt mich ein Gefühl der Dankbarkeit, daß es in diesem Jammertal solch traulicher Winkel noch gibt; und mir wird ganz pfäffisch wohl zumut, als ob ich nicht in der Papenstraße zu Berlin säße, sondern in irgendeinem Klosterhof zu München oder Regensburg, deren Heilige ja längst auch die Patrone der großen Brauhäuser geworden sind. Kein Glühlicht, keine Butzenscheiben und allerlei Zierat von Zinn und Schalen und Krügen bringt mich hier in den seltsamen Widerspruch einer künstlich hervorgerufenen Stimmung; und nichts ist hier stilvoll als der Kellner alten Berliner Schlages, der weder eine germanische Jacke trägt noch eine modische weiße Krawatte, sondern am Frack seiner Väter festhält und an große Trinkgeldernicht gewöhnt ist. Indessen beginnt es am Stammtisch stiller zu werden; das Knöcheln verstummt allmählich, die Karten ruhen, einer nach dem andern von den Gästen erhebt sich – »Mahlzeit, meine Herren!« ruft es bald hier, bald dort, das Zimmer wird leer, und in dröhnenden Klängen vom Rathausturme schlägt es eins.
    Und nun nach der Idylle die Elegie. Lieber Leser, gib dir keine Mühe, dies Fleckchen irdischen Vergnügens aufzusuchen. Bis du dich in Bewegung gesetzt haben wirst, ist es nicht mehr; ich habe dir's geschildert, wie es in den letzten Tagen seines Daseins war. Wenn du hinkommst, wird die halbe Papenstraße verschwunden, niedergerissen, ein Schutthaufen sein; und wenn du nach ein oder zwei Jahren wiederkehrst, wird wahrscheinlich ein »Prachtbau« stehen, wo das einstöckige Haus mit der weißen Laterne stand, und im Erdgeschoß, an Stelle des unscheinbaren Kneipchens, vielleicht ein »altdeutsches« Bierhaus sein mit elektrischer Beleuchtung und allem, was sonst noch dazugehört.
    Aber fürchtet darum nicht, daß ich nun in Klagen ausbrechen und auf den Trümmern des Kleinen Jüdenhofes sitzen werde, wie der Prophet Jeremias auf denen von Jerusalem. Ein Stück bis an das Mittelalter reichender Reminiszenzen ist hier hingegangen, das einzige, welches wir in Berlin hatten; aber es ist kein Jubel darum bei den Heiden, noch großer Jammer bei den Christen oder bei den Juden, welch letztere zumal nicht viel Erbauliches hier erlebten, wo man sie im Kleinen Jüdenhof zusammenpferchte und auf dem Neuen Markt verbrannte. Wenn man liest, was in Rom vernichtet und zerstört wird, so kann man sich über das trösten, was wir in Berlin auf Nimmerwiedersehn verlieren. Wie ein Reinigungswerk ist die Demolierungsarbeit der Kaiser-Wilhelm-Straße durch die schmutzigsten und verrufensten Quartiere von Alt-Berlin mitten durch gegangen und hatsie niedergelegt. Und zum ersten Male jetzt wehte die Luft des Himmels herein, schien die Sonne herab in Gassen und Gäßchen, die vom Unrat der Jahrhunderte starrten und durch Jahrhunderte von den dicht angrenzenden Straßen getrennt zu sein schienen. Da ist nicht viel zu lamentieren. Aber mit dem, was niemand bedauert, wurde doch auch manches zum Untergange verurteilt, was ein pietätvolles Herz weniger leicht preisgeben mochte – so mancher Straßendurchblick, der uns ein letztes Bild gab von dem alten, ehemaligen Berlin – so mancher malerische Winkel, auf den man plötzlich stieß, wie auf den übriggebliebenen Rest einer versunkenen Welt – so manches Haus mit historischem Charakter, welches in unsrer, an Anknüpfungspunkten solcher Art nicht sonderlich reichen Stadt doppelt wertvoll und doppelt unersetzlich war. Wenn man vor vier, fünf Jahren in diesen Teil des rechten Spreeufers kam, so konnte man sich sagen, daß er fast unberührt noch so sei, wie Lessing und Mendelssohn, Ramler und Nicolai denselben gesehen, mit den Häusern, in denen sie gewohnt, und den schmalen Fußsteigen, auf denen sie gegangen. Seitdem ist, beim Alexanderplatz angefangen, eins nach dem andern davon abgebröckelt; und die Kaiser-Wilhelm-Straße mit ihren gewaltigen Bauprojekten hat ihm den Rest gegeben. Nicht zu Zwecken der Verschönerung allein, wie wohl in den meisten übrigen Fällen, hat man hier aufgeräumt und neugeschaffen: sondern es mußte geschehen, wenn dem ungeheuern Wachstum Berlin die freie Zirkulation und Entfaltung gesichert, wenn dem immer stärker anschwellenden Strome seines Verkehrs der Weg gewiesen werden

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