Bilder von A.
nicht auf, an uns zu zerren. Vielleicht gibt es auch keine helle Liebe auf der Welt, schon gar nicht zwischen zweien, die vom Theater sind und dazu von so unterschiedlicher Herkunft, die sie aber nicht beachten wollten, an die sie überhaupt nicht dachten und von der sie sich auch nichts erzählten. Sie sprachen ja immer nur über Kleist und lasen sich gegenseitig Kleist vor.
A. ist jetzt tot.
Das erste Treffen zwischen A. und mir hatte unser gemeinsamer Freund Valentin arrangiert. Er wußte, daß A. noch einen Mitarbeiter für seine Kleist-Inszenierung in der folgenden Spielzeit suchte und ein großes Projekt in seinem Kopf wälzte, für das es eines verschworenen Ensembles und der Mitarbeit aufrechter Getreuer bedurfte. Und Valentin wußte, daß ich mich schon während meines Studiums und später als Dramaturgin mit Kleist beschäftigt und einige Kleist-Bilder gemalt hatte, denn Valentin war Maler, und wir zeichneten und malten oft zusammen. So hatte er ein gemeinsames Gespräch vorgeschlagen, bei sich zu Hause, in seiner Hinterhofwohnung in der Bersarin-Straße, bei dem wir uns kennenlernen und unsere Kleist-Vorstellungen schon einmal austauschen könnten. Und dann würde es eben klappen oder auch nicht.
Es klappte.
Ich kam natürlich zu spät, und A. sagte hinterher, gleich als du deinen Kopf durch die Tür gesteckt und so frech gegrinst hast, wußte ich, was geschehen wird. Dabeihatte ich nur mein Ankommen durch ein schnelles Hallo, guten Tag, hier bin ich, bekunden wollen, bevor ich mir den Mantel auszog und an den Haken im Flur hängte.
A. war gerade von seiner ersten West-Inszenierung zurückgekehrt, es war die Zeit, als die DDR begann, ihre Regisseure in den Westen zu »exportieren«. In München, vielleicht war es auch eine andere Stadt, hatte er Die Wupper von Else Lasker-Schüler inszeniert, ein Stück, das nur selten aufgeführt wird, und dabei hatte er ihr Werk, ihr Leben und ihre Zeichnungen, die er bis dahin nur vom Hörensagen kannte, für sich entdeckt. Er stand noch ganz im Banne dieser Entdeckung und sei, wie er mir später sagte, nicht nur über mein Grinsen schockiert gewesen, als er mich sah, sondern darüber, wie ähnlich ich der Lasker-Schüler sähe, so schwarz und dunkeläugig. Offensichtlich wußte er nicht, oder wollte es auch nicht wissen, daß deutsche Juden oft so aussehen, also vom »dunklen Typ« sind, oder wenigstens einige von ihnen, wie zum Beispiel die ganze kleine Schar meiner jüdischen Freundinnen, was zur Folge hatte, daß wir damals in Berlin immer und überall miteinander verwechselt wurden, in Läden, im Café, in der Bibliothek, Wera, Helga, mehrere Evas und ich.
Weil ich auch noch mit einer Schüler-Verwandtschaftslinie aufwarten konnte und dazu mein Geburtstag nur um einen Tag von dem Else Lasker-Schülers verschoben ist, nannte mich A. dann einfach Prinz Jussuf und prophezeite mir, ich würde eines Tages auch noch Gedichte schreiben, was ich heftig verneinte.
Mein Onkel Andreas Schüler, eigentlich ein Cousin meines Vaters, ich weiß nicht, wie man das nennt, war alles andere als ein Dichter, vielmehr Professor für sozialistische Ökonomie in Ilmenau. Manchmal kam er zu sozialistischen Ökonomie-Tagungen nach Berlin, dann wohnte er bei uns und wir sahen uns abends zusammen im Westfernsehen einen Krimi an, den er immer schlau kommentierte. Ich mochte ihn, weil er temperamentvoll und witzig war; das Temperament war vielleicht ein Schüler-Erbteil, der Witz kam aus den bitteren Erfahrungen der Ausgrenzung und des Exils, wie bei meinen eigenen Eltern und denen von Wera, Helga und mehreren Evas auch.
A. war jedenfalls sehr beeindruckt über dieses Zusammentreffen, und so erzählte er erst eine ganze Weile von Else Lasker-Schüler und seiner Wupper -Aufführung, bevor wir den Rest des Abends dann über Kleist und sein Werk, seine Stücke, seine Prosa, seine Briefe und natürlich auch sein Leben sprachen, dessen Spuren ja buchstäblich vor unserer Haustür lagen. Valentin wurde es irgendwann zuviel, er verzog sich auf sein Sofa, das auch sein Bett war, und war bald eingeschlafen. Wir rollten ihn in seine Decke, zogen die Wohnungstür leise hinter uns zu und fanden uns auf der nächtlichen Bersarin-Straße, Ecke Karl-Marx-Allee wieder. A. begleitete mich nach Hause, Bahnen oder Busse fuhren schon längst nicht mehr, und wir suchten sowieso nach den größtmöglichen Umwegen, auf denen sich die Kleist-Inszenierung ins Unermeßliche steigerte und wir uns gegenseitig
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