Bilder von A.
Biermann dichtete seine Lieder vor einem solchen Schrein, ließ sich von seinen Göttern,darunter auch das einzige Foto seines in Auschwitz ermordeten Vaters, ermutigen und beschützen. Unsere Bücherregale waren von oben bis unten gespickt mit Bildchen, Bildern, Blättern, Fotos, gedruckten oder handgeschriebenen Zitaten, die alle dazu dienten, uns Beistand zu leisten und durch ihre Kompromißlosigkeit, manchmal sogar Opferbereitschaft als Beispiel zu dienen.
Auf dem Zettel an meinem Regal, den A. sofort entdeckt hatte, standen Worte, die mir einmal im Traum erschienen waren, wie ich ihm gleich erklärte, in genau dieser Reihenfolge waren sie mir erschienen, sagte ich ihm: stärker, größer, schöner, leidenschaftlicher, dunkler . A. las die Worte laut, und nachdem er sich alle anderen Bilder, Fotos, Zitate gründlich angesehen, ja studiert hatte, entschied er, diese Worte sollten unsere »Losung« sein. Für unser beider Leben, für unsere Liebe, für unsere Kunst. Und dann bat er mich, ob er noch ein Wort hinzufügen dürfte, ich erlaubte es ihm, in Klammern, mit Bleistift, und er fügte in Klammern dazu dicker . Er fand nämlich, daß ich zu dünn sei und gut ein paar Kilo zunehmen könnte. Über diesen ganzen Unsinn, daß Frauen schlank sein müssen, hatte mich auch mein Vater schon frühzeitig aufgeklärt, indem er mir versicherte: Männer möchten gerne wissen, was sie in der Hand haben!
So sollte es immer bleiben: stärker, größer, schöner, leidenschaftlicher, dunkler. In Klammern: dicker.
Ja, gleich am ersten Abend, nachdem wir uns kennengelernt hatten, fielen oder stiegen wir in die S f äre der Poesie, in der alles entschiedener, jede Function höher und lebendiger ist und f arbiger in die Augen springt, wie Novalis sagt.
Ich war toll in A. verliebt und toll vor Poesie, und er war es wohl auch, wegen Kleist und wegen Else Lasker-Schüler und wegen des dummen leeren Platzes, wo wir uns umarmt und der Laster uns im ersten Morgenlicht zugehupt hatte, und wegen all der Bücher und Werke und Verse, über die wir gesprochen hatten und von deren Energie wir verstrahlt zu sein meinten. Und wegen der Worte, die mir im Traum erschienen waren: stärker, größer, schöner, leidenschaftlicher, dunkler.
Ich sagte, mein Beruf wird »Liebhaberin« sein. A. hat gelacht, aber er fand es ganz in Ordnung.
Das offizielle Einstellungsgespräch beim Intendanten fand eine Woche später statt. Nachdem auch er begriffen hatte, daß ich eine bedingungslose Kleistianerin war und auch das nötige Universitätsdiplom hatte, bekam ich einen Vertrag als Dramaturgieassistentin für das Kleist-Projekt des Berliner Theaters . Der Vertrag war auf eine Spielzeit begrenzt. Unterschrift. Stempel.
A. war fünfzehn Jahre älter als ich und ein bekannter Theaterregisseur. Einige seiner Inszenierungen am Berliner Theater waren legendär geworden, damals in den 70ern, ich hatte sie viele Male gesehen, kannte sie auswendig. Die Vorstellungen waren fast immer ausverkauft, viele Zuschauer kamen für einen Abend extra aus Westberlin in den Osten angereist, um die auch, oder besser gesagt, gerade im Westen gerühmten Inszenierungen nicht zu verpassen. Daß sie weiter am Berliner Theater gespielt werden durften, verdankte sich oberflächlichen Änderungen, Arrangements mit den Zensurbehörden und der Fürsprache einiger Prominenter, aber auch dem immer vollen Haus und begeisterten Publikum, mit dem die zuständigen Parteistellen oder gar ZK und Politbüro sich nicht zu konfrontieren wagten, um keine Explosionen zu riskieren, denn von der Sprengkraft, die Theateraufführungen zu öffentlichen Manifestationen, wenn nicht Revolutionen umschlagen lassen können, hatten sie auch schon gehört.
Ich hingegen hatte mein Studium erst seit wenigenJahren beendet und seitdem wie zufällig immer mit Kleist »zusammengearbeitet«, zuerst an einer glücklosen Inszenierung der Penthesilea , die niemals zur Aufführung kam, und danach am Amphitryon an einem Provinztheater. Das junge Ensemble dort hatte sich viel vorgenommen, um die Provinz auf seine kulturelle Höhe zu hieven. Ich trug zu dieser Mission bei, indem ich für das Programmheft einen Aufsatz über das Doppelgängermotiv schrieb, mit dem ich, wenn schon nicht die Provinz, so später doch A. beeindrucken konnte, als ihm selbst diese Dopplungen und Verwechslungen im Kopf herumgingen, die bei Kleist, im Gegensatz zu Molière, tragisch grundiert sind.
Wir sprachen lange darüber und fanden, sie
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