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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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einzige Asiat in der ganzen Schule, und es ging das Gerücht, er sei in China geboren und dort auch bis zu seinem achten Lebensjahr aufgewachsen. Er sprach drei Sprachen – Englisch, Chinesisch und Französisch. Er schrieb sich für Cross-Country ein, dem Herbstsport für geschickte Sportler, und wenn er durch die Aula lief, umgab ihn sein Coolsein wie eine Aura. Für Oneida war es unbegreiflich, wie jemand, der noch keine achtzehn war, sich in seiner eigenen Haut derart wohlfühlen konnte wie Andrew Lu. Sie beneidete ihn. Er faszinierte sie. Sie wollte ihn fragen, wie er das anstellte: Wie konnte er derart selbstsicher und doch so anders als alle anderen sein?
    Sie besuchten denselben Kurs für amerikanische Geschichte, und Oneida, die drei Reihen links hinter ihm saß, wartete den ganzen Kurs über nur darauf, dass er eine von Mrs. Dreyers Fragen beantwortete. Dazu hob er seine Hand, wobei ihr auffiel, wie glatt und muskulös sein Oberarm war, dann beantwortete er die Frage der Lehrerin korrekt und sicher, ohne zu stottern oder zu schwafeln oder zu sehr ins Detail zu gehen, wozu Oneida jedes Mal neigte, wenn sie aufgerufen wurde, weil Dreyer der Meinung war, sie zeige nicht genug Beteiligung am Unterricht. Eines Tages, nachdem Oneida erzwungenermaßen eine knappe Abhandlung über die Whiskey-Rebellion vorgetragen hatte, drehte Andrew Lu sich tatsächlich um, suchte Blickkontakt und lächelte. Oneida fühlte sich, als habe man sie an einen Generator angeschlossen – ihr ganzer Körper stand unter Strom. Und dabei machte sich bei ihr aufs Heftigste ein Hunger bemerkbar, von dessen Vorhandensein sie bisher nichts gewusst hatte. Schmollend und heulend, weil sie sich selbst im Weg stand und keine Freunde hatte, brachte sie den Rest des Tages versteckt auf dem Requisitenboden des Dramaklubs zu, hoch über der Auditoriumsbühne, und badete in Selbstmitleid.
    Die Schicksalswege kreuzten sich: Mrs. Dreyer wies Andrew Lu und Oneida Jones demselben Gruppenprojekt in Geschichte zu. Die Seelenverwandten bekamen endlich Gelegenheit, einander zu erkennen. Dass die beiden anderen Mitglieder ihrer Gruppe die beiden Leute von Ruby Falls, wenn nicht sogar der ganzen Welt waren, die Oneida am wenigsten leiden konnte, fiel kaum ins Gewicht. Das heißt, bis sie in ihrer Küche saßen und ihren Mund nicht halten konnten.
    »Ich weiß nicht, warum die Leute immer noch so an den Beatles hängen«, sagte Dani Drake. Sie konnte ihr Bein nicht ruhig halten und wippte damit gegen den Küchenstuhl und rieb sich mit ihrem Stift die Schläfe. »Die sind doch … so was von vorgestern , oder? Es wissen doch alle, dass sie, naja, die Götter der Popmusik sind, aber wen kümmert das jetzt noch? Hey, Gott ist tot, und wenn die Beatles Gott sind, folgt daraus dann nicht, dass sie auch tot sind?«
    »Über wen sollten wir dann deiner Meinung nach unsere Referate schreiben?«, fragte Oneida. Sie klopfte ihren Stapel loser Blätter mit Notizen zum Geschichtsunterricht zurecht, bis sämtliche Seiten ordentlich aufeinanderlagen. Oneida war stolz auf ihre zwanghaften Neigungen. Sie gaben ihr das Gefühl, älter als fünfzehn zu sein, kontrollierter und in der Lage, sich davon zurückzuhalten, ein Büschel von Dani Drakes Stirnfransen zu packen und ihren Kopf auf den Küchentisch zu knallen.
    »Oh!«, sagte Dani mit vorgetäuschter Beflissenheit und starrte an die Decke. »O ja, du hast ja recht! Es gibt keine andere Band in der Geschichte der Popmusik, die es an Wichtigkeit mit den Beatles aufnehmen könnte! Wie dumm von mir!«
    Wendy kicherte in seine Limodose, was Oneida überraschte: Niemals hätte sie gedacht, dass Eugene »Wendy« Wendell auch nur annähernd Humor besaß. Was er besaß, war ein Ruf: Man musste ihn fürchten und meiden. Es war allgemein bekannt, dass er zu jeder Mahlzeit Korn trank, ein mit Klebeband an seinem Oberschenkel befestigtes Bowiemesser bei sich trug, und dass die weiße schnurartige Narbe, die von seiner Schläfe durch seine Augenbrauen führte, das Ergebnis eines Kampfs mit einer kaputten Flasche war, den er mit einer Hure aus Syracuse ausgetragen hatte. Die Hure siegte, aber Wendy war trotzdem ein knallharter Scheißkerl. Ihm stand es nicht zu, zu kichern, selbst wenn der Scherz gemein war.
    »Leute – ich finde nicht, dass die Beatles irrelevant sind, und mal ehrlich, über wen sonst könnten wir dieses Referat schreiben?«, sagte Andrew. Oneida war ein wenig beleidigt. Sie war bemüht, es ihm nicht zum Vorwurf zu

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