Bilder von dir: Roman (German Edition)
ausgestorben. Max peilte das Wasser an, folgte Schildern zu Ausweichparkplätzen, schlängelte sich durch die schmaleren Gassen hinter der Promenade und hielt Ausschau nach einem leeren Stück Randstein. Dreißig Meter von einer Promenadenrampe entfernt hielt er im Parkverbot. Ray Harryhausen, der auf dem Rücksitz in seinem Tragekorb saß, hob den Kopf, als der Motor verstummte, seufzte tief und rollte sich dann zur weltgrößten Zimtschnecke zusammen und schlief wieder ein.
Arthur war schon an so vielen Stränden New Englands gewesen, aber die Strände von Jersey waren anders, und das merkte er, sobald er seine Tür aufmachte. Sie rochen anders: salziger,
wärmer, selbst jetzt im Oktober. Wind zerzauste sein Haar, und er begann zu laufen, drückte das Päckchen Amy an seine empfindliche Brust und rannte dann die breite Holzrampe hinauf, deren alte Planken unter seinen stampfenden Füßen knackten, und auf einmal tat sich alles auf vor ihm, lag alles vor ihm: rechts und links, so weit er in der Dunkelheit schauen konnte, befanden sich die Pizzastände und die Ramschläden, verrammelt, ob für die Nacht oder für die Saison hätte er nicht sagen können, die Mona für ihn zum Leben erweckt hatte. Das war der Ort, wo Amy und Mona Kinder gewesen waren, wo sie entdeckt hatten, dass sie Entscheidungen treffen und Möglichkeiten wahrnehmen konnten, wo sie die Freiheit und den Rest ihres Lebens gekostet hatten. Die ganze Promenade entlang standen Straßenlaternen, aber sie waren schwache Glühwürmchen gegen den Mond, der riesig und bis auf ein flaches Randstück voll leuchtete und größer war, als Arthur ihn je gesehen hatte, so groß und hell, dass er ihn momentan einschüchterte. Sein Licht bannte ihn, machte ihn erstaunt und reglos angesichts der Ungeheuerlichkeit der Zeit und allem, was vor seinem winzigen Körnchen Leben kam und allem, was danach noch kommen würde. Und dann hörte er ihn – den Ozean –, der sich wälzte, sich bewegte, atmete, und er befreite sich aus dem Bann des Mondes und erinnerte sich daran, weswegen er gekommen war.
Er winkte Max heran. Auch Max starrte hinauf zum Mond, starrte verwundert ins Licht.
Arthur lief quer über die Promenade und hatte, als er auf der anderen Seite die Treppe hinunter in den feuchten kühlen Sand stieg, die Schuhe bereits ausgezogen. Er ließ den Sand zwischen seinen Zehen hervorquellen und musste immerzu lächeln – wegen des Meeresrauschens, wegen des Mondlichts. Wegen der Erinnerung an seine Frau, eine nackte Deborah Kerr am Saum der Brandung, deren weiße Gischt sie in einer flüssigen Wolke umgab, nachdem sie sich in ihrer ganzen Schönheit lachend und betrunken hatte fallen lassen.
Er wickelte das Paket aus. Das Blech war kalt in seinen Händen und der Sand dort, wo er vom Wasser bedeckt gewesen war, kühl und glatt. Seine Füße machten kleine trockene Dellen, die gleich, nachdem er sie gemacht hatte, wieder verschwanden. Arthur öffnete den Deckel des Gefäßes, das seine Frau beinhaltete, und verspürte weder Entsetzen noch Traurigkeit, sie so zu sehen, diese letzte Gestalt, die sie je annehmen würde, nein, er verspürte einen Triumph, als wäre sie nun vollständig geworden, hätte endlich eine Gestalt angenommen, die ihrem eigentlichen Wesen entsprach. Seine Frau war so unergründlich und mit Fehlern behaftet wie die Götter des Olymps, aber jetzt war sie etwas anderes als ein Mensch, etwas anderes als ein Gott. Sie war ein Titan, eine unsterbliche elementare Kraft, die nicht mehr getötet werden konnte.
Er lief parallel zum Meer, seine Füße platschten im flachen Wasser, und er hielt die Büchse schräg und goss Amy in einem feinen Band aus Staub aus, das sich hinter ihm herzog, während er Geschwindigkeit aufnahm, seine Beine höher zog und mit seinen Füßen kraftvoller durch die tiefere Brandung platschte. Er ließ Amy frei und er flog, schneller, leichter, während sie ihn freigab. Als er sich so leicht fühlte, dass er glaubte, gleich abzuheben und in die Nacht davonzufliegen, wie eine hilflose Motte angezogen vom todbringenden glotzenden Mond, blieb Arthur Rook stehen, holte keuchend Luft und drehte sich um, um den Weg zu sehen, den er zurückgelegt hatte. Ein knapper Kilometer Strand lag hinter ihm, bleicher Sand und Wasser, tintenblau im fahlen Licht. Eine Welle kroch hoch an den Strand, höher als jede Welle zuvor gekommen war, und Amy, nunmehr von allen Fesseln befreit, zog sich zurück in die Tiefe.
Max winkte ihm zu, und Arthur,
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