Bilder von dir: Roman (German Edition)
hatte und – was dann? Nicht, dass man seinen Ruf noch hätte schädigen können, der war ohnehin schon schrecklich genug. Sein Herz rutschte ein wenig tiefer. Niemals hatte er vorgehabt, seinem eigenen Ruf gerecht zu werden.
Das Klassenzimmer versank in einem kontrollierten Chaos, weil die Schüler ihre Tische umdrehten, um einander gegenüberzusitzen, Reihen zu Kreisen und Hufeisen zusammenschoben. Dani warf ihre Tasche zur Wand und setzte sich neben Eugene. Oneida und Andrew Lu kamen Seite an Seite als Nächste und drehten zwei leere Pulte um. Andrew hatte seine Gitarre mitgebracht.
»Was ist in diesem Koffer, eine Geheimwaffe?«, fragte Dani. Eugene konnte ihren Kaugummi sehen, violett blitzte er zwischen ihren weißen Zähnen auf.
Andrew Lu lächelte. »Gewissermaßen ja«, sagte er. »Wir kommen gleich darauf. Zuerst sollten wir das abhandeln, was wir am Sonntag hätten tun sollen.« Er sah Eugene an, aber Eugene konnte keinen Vorwurf und keine Verärgerung in seinem Gesicht erkennen. Na, das war doch mal was.
Oneida räusperte sich, und Eugene sah sie zum ersten Mal aus der Nähe an. Es war eine unwillkürliche Reaktion, sein Kopf hatte sich einfach nur dem Geräusch zugewandt, aber beider Augen glitten ab und verbanden sich für den Bruchteil einer Sekunde. Lange genug für Eugene, um zu sehen, dass Oneida vom Kinn bis zu ihren Ohrläppchen errötete. Er wäre am liebsten unter sein Pult gekrochen und gestorben.
»Haben wir denn überhaupt schon beschlossen, was wir für dieses blöde Projekt tun wollen?« Ausnahmsweise war Danis Stimme mal eine erfreuliche Ablenkung. »Ich dachte, wir hätten das beschlossen, als wir uns vor einer Ewigkeit getroffen haben, bin mir aber nicht mehr sicher. Je mehr ich nämlich darüber nachdenke, dass wir uns die Beatles vornehmen, um so blöder finde ich das. Ich meine, wir haben hier amerikanische Geschichte, oder? Sollten wir uns da nicht mit einer amerikanischen Band beschäftigen?«
»Die Beatles waren praktisch eine amerikanische Band«, warf Eugene ein. Mein Gott, war die dumm.
»O ja, alles klar, nur weil die Amerikaner völlig verrückt nach irgendwem sind, macht es sie automatisch zu Amerikanern? Wir müssen die Musik also vereinnahmen – um sie zu legitimieren?« Dani trug Silberohrringe, die wie winzige Kronleuchter aussahen. Sie klimperten, wenn sie ihren Kopf bewegte.
Andrew Lu zuckte mit den Schultern. »Das ist ein gutes Argument«, sagte er. »Aber ich halte es für gerechtfertigt, die Beatles als Teil der amerikanischen Geschichte zu begreifen. Ich habe am Wochenende ein wenig im Internet recherchiert, und es sieht ganz so aus, als wären sie maßgeblich an den Sechzigern beteiligt gewesen, in Amerika und anderswo.«
Eugene war hin und her gerissen. Andrew Lu war nicht blöd, und er sagte auch nichts Falsches, doch Oneida hing ihm eindeutig an den Lippen, wie Eugene jetzt, da seine Aufmerksamkeit geschärft war, bemerkte. Noch nie hatte er richtige Eifersucht empfunden, aber das musste es sein, sie brannte in seiner Brust, als hätte er heiße Kartoffeln unzerkaut hinuntergeschluckt. Dieses Gefühl war ihm nicht ganz fremd. Entsetzlicherweise fühlte es sich ganz so an wie seine unerklärliche Wut. Er hielt sich an der Pultkante fest. Holte tief Luft.
»Das will ich ja gar nicht bestreiten«, fuhr Dani fort und schüttelte den Kopf. »Natürlich waren sie großartig. Und deshalb ist über sie doch auch alles bekannt. Alle wissen bereits, wie sehr sie die Welt beeinflusst haben, also ist es doch nur …« Sie runzelte die Stirn. »Ich finde es zu einfach.«
» Ach nee «, sagte Oneida kaum hörbar.
»Was ach nee , Jones?«, brauste Dani auf.
»Ihr habt mich neugierig gemacht, Gruppe drei.« Dreyer tauchte aus dem Nichts auf und stand aufrecht über ihren Pulten, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Kopf zur Seite geneigt. Gegen seinen Willen mochte Eugene Dreyer. Ihre Art, durch den Klassenraum zu schreiten und über den Swamp Fox und die Boston Tea Party zu schwadronieren, erinnerte ihn an einen General, der seine Truppen am Abend vor der Schlacht einschwor.
»Was ist mit der E-Gitarre?«, fragte sie und stupste den Gitarrenkoffer mit dem Fuß an.
»Ja, Andrew, was ist mit der E-Gitarre?«, fragte Dani und schnaubte.
»Ich zeig sie Ihnen«, sagte er und beugte sich hinunter, um den Koffer zu öffnen. Er musste aufstehen, denn in Dreyers Klassenzimmer gab es keine Schreibtischstühle, die es ihm erlaubten, darauf zu sitzen und
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