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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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schlüpfte in den Gurt, befestigte die Gitarre so, dass sie bequem saß, und stimmte dieses arme Ding endlich. Wie gehofft, hatte der Großteil der Klasse mitbekommen, dass da etwas tausendmal Interessanteres als ihr jeweiliges Geschichtsprojekt ablief, und die Stühle zum Zuschauen umgedreht. Selbst Dreyer, die auf der anderen Seite des Raums stand, schaute in seine Richtung.
    Er kannte nicht allzu viele Songs. Der einzige komplette Song, den er relativ gut spielen konnte, war »Blister in the Sun«. Er erinnerte sich noch daran, wie Patricia ihm diesen vor vielen Jahren, noch vor Brooklyn, beigebracht hatte – erinnerte sich, wie sie anfangs von hinten über ihn gebeugt seine Finger auf den Saiten bewegt hatte, sich dann vor ihn gestellt und gesungen und geklatscht hatte und auf ihrem Bett auf und ab gehüpft war und den Text mehr gekreischt als gesungen hatte.
    Er hatte den Song daraufhin stundenlang, tagelang, monatelang gespielt, und das kam ihm jetzt, in der neunten Unterrichtsstunde U. S.-Geschichte, zugute, denn seine Muskeln erinnerten sich auch daran. Wenn er schon nur einen Song konnte, dann war das ein großartiger Song – den jeder sofort erkannte, selbst wenn er ihnen nicht bekannt war, und die halbe Klasse fiel klatschend ein. Eugene spürte noch immer Oneidas Augen auf sich ruhen, und ihr Blick wärmte seinen Nacken wie Sonnenstrahlen. Andrew Lu nickte, blinzelte und tat so, als kenne er sich aus mit Musik oder dem, was er hörte, oder wie man Leute behandelte.
    Oder wie man eine Gitarre behandelt, dachte Eugene traurig. Es war eine gute Gitarre, so viel stand fest, ein wenig steif, sehr neu, aber sie hatte einen schönen warmen Klang. Aber Andrew Lu würde ihrer Seele so lange zusetzen, bis sie nur noch ein trauriger, leerer, gebrochener Kasten war. Und dagegen war das, was Eugene mit dieser Gitarre vorhatte, tatsächlich ein Akt des Mitleids.
    Was , überlegte Eugene, würde Pete Townshend tun ?
    Während die Klasse am Ende der Phrasierung begeistert klatschte, packte er die Gitarre mit beiden Händen am Hals, hob sie hoch und schlug sie mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft auf den Boden. Sie klirrte und zersplitterte mit dem Klang eines fallen gelassenen Cartoon-Klaviers. Dann rammte Andrew Lu seine Faust in Eugenes rechtes Auge, und Eugene ging zu Boden und fiel in den Haufen aus Nylon und Holz der ersten Gitarre, die jemals an der Ruby Falls High den Gnadentod gefunden hatte. Einige schrien, andere redeten laut. Er hörte Dreyers Feldwebelstimme, die ihnen allen befahl, sich zusammenzureißen, und die Klappe zu halten, während sie das Rektorat anrief. Eugene hob seinen Kopf – oh sein Kopf, sein Kopf fühlte sich an wie ein feuchter Sandsack – und sah, dass Oneida ihn beobachtete, die Finger um den Rand ihres Pults geklammert, die Augen weit aufgerissen. Und während er sie ansah, spielte ein winziges Lächeln um ihre Lippen.
    »Hi«, sagte er zu ihr. Triumphierend hob er einen spindeldürren Arm.
    Ich bin Wendy , sagte er sich, hör mein Gebrüll .
    »Seit wann gibt es bei uns Hausarrest?« Eugene stocherte beim Abendessen in dem Haufen grüner Bohnen auf seinem Teller. »Hat Patricia jemals Hausarrest bekommen?«
    »Patricia hat auch nie im Geschichtsunterricht einen auf Jimi Hendrix gemacht.« Seine Mutter räusperte sich. Maggie Wendell hatte große Mühe, eine strenge Miene beizubehalten.
    »Was ist mit dem Typen los? Ist das ein völliger Depp?« Patricia, die noch immer ihre McDonald’s-Uniform anhatte, stank nach Fett. Sie hatte ihr Haar zu zwei weißblonden Zopfschnecken über den Ohren hochgesteckt. Sie atmete heftig ein. »Ist er etwa dein Konkurrent?«
    Eugene zuckte mit den Schultern. Woher wusste seine Schwester diesen Scheiß. Hatte das was damit zu tun, dass sie ein Mädchen war, oder verfügte seine Schwester über einzigartige übersinnliche Kräfte?
    »Sag jetzt bloß nicht, es ging dabei um ein Mädchen.« Seine Mutter legte klappernd ihr Besteck zur Seite.
    »Wie?« Eugenes Stimme übersprang eine Oktave. »Woher weißt du – verdammt, woher weißt du das?«
    »Ich hatte das im Gefühl.« Maggie aß weiter und sagte mit vollem Mund: »Du bist ein Junge von fünfzehn Jahren, Eugene. Da dreht sich alles um Mädchen. Hab ich recht?«
    Eugene spürte, wie seine Wangen und seine Stirn heiß wurden. Wendy würde nicht so leicht verlegen sein, überlegte er, aber zu Hause gab es natürlich gar keinen Wendy.
    Astor kam mit zwei Flaschen Bier aus der Küche

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