Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
hatte damals noch keine Turnanstalt, aber der weite Marktplatz und die vielen Alleen gaben Raum genug zu sich selbst findenden Spielen und Leibesübungen der Jugend, und Winterszeit bot der große Stadtsee eine schöne Gelegenheit zum Schlittschuhlaufen. Da war dieser See ein glänzender Belustigungsplatz für alle Stände; und noch erinnere ich mich eines jungen Mannes aus Philadelphia, ich meine, er hieß
Gebhardt,
der zum Besuche von Verwandten nach
Ludwigsburg
gekommen war, der sich durch seine Kunst im Schlittschuhlaufen (Klopstocks und Uhlands Lieblingsunterhaltung) damals vor Allen auszeichnete: denn er bildete in seinem Laufe nach Willkür die schönsten geometrischen Figuren, Ringe, Triangel, Oblonga, und diese wieder zu Arabesken und Blumenformen verschlungen, im Eise, gleich wie auf einer Glasfläche, durch Bestreichung mit einem Geigenbogen, hervorgerufene Schallfiguren.
Aber auch die Abhänge in den Alleen und die abschüssigen Straßen der Stadt lockten die Knaben vielseitig zu Fahrten auf Bergschlitten bis in die späte Nacht, oft noch im Mondenscheine, an.
Die abschüssige Straße, die von dem Holzmarkte bis zu dem Tor des Schloßgartens über die Chaussee, die nach Stuttgart führt, hinläuft, und die der Kaffeeberg heißt, war damals jeden Winter bei guter Schneebahn ein Tummelplatz von hunderten von Knaben auf Bergschlitten, die im unaufhaltsamen Laufe, wurden sie einmal oben am Holzmarkte angesetzt, bis vor das Tor und die Schildwache am Schloßgarten hinabschossen. In einem solchen Schusse war ich eines Abends auch einmal hier auf einem Bergschlitten begriffen, als ich zu meinem Schrecken auf einmal einen Herrn in steifester Hofkleidung mit Orden, Degen und seidenen Strümpfen, dem mein Schlitten unaufhaltsam zwischen die Füße gefahren war, auf meinen Schoß auf den Schlitten bekam und mit ihm so noch eine gute Strecke bis zum Tore des Schloßgartens zur Ergötzung vieler Zuschauenden hinabschoß. Der Herr war, am Ziele angekommen, nicht weniger erstaunt als ich. Es war der damalige Hofmarschall von
Bär,
ein zu gutmütiger Mann, als daß die Sache weitere Folgen gehabt hätte; nur wurden von dort an diese Fahrten den Kaffeeberg herab verboten.
Die Camera obscura im Mondenscheine
Der Vater meiner Freunde
Burnitz
war Schloßkastellan, und hatte seine Wohnung im Corps de Logis des Schlosses, nicht weit von den Zimmern, in denen man den Herzog
Karl Alexander
eines unnatürlichen Todes sterben ließ, und auch nicht weit von der fürstlichen Gruft. Es war diese Gegend des Schlosses, wie ich schon erwähnte, noch zu Zeiten des Herzogs
Ludwig
der Platz unserer kindischen kriegerischen Spiele. Er hatte auch durch seine Stille und durch seine Geistersagen etwas Mysteriöses, Poetisches (das ihm wohl in neuerer Zeit durch die Einlogierung der Kreisregierung genommen worden sein mag). Auch damals wurde ich oft durch meine Freunde
Burnitz
dahingezogen. Sie hatten eine große tragbare Camera obscura, die da unser Lieblingsspiel war. Es war am Corps de Logis ein Plateau, das in die Gegend von Marbach und an das sogenannte Favoritenwäldchen mit seinem Schlößchen sah. Auf dieses trugen wir gemeiniglich die Camera obscura und unterhielten uns mit den Bildern, dem Favoritschlößchen, der Emichsburg und den Steinbildern auf den Dächern des Schlosses, die sich ihr präsentierten. Einmal glaubten wir, es könne dies auch im Mondenscheine geschehen und würde da noch wundersamer sein. Nicht ohne Zagen trugen wir daher einmal die Camera obscura in die Mondnacht hinaus und setzten sie auf das Plateau des Schlosses nicht weit von der Gruft. Wir wagten lange nicht hinein zu sehen, faßten aber endlich den Mut, lüfteten den Vorhang, und sahen hinein; aber in demselben Augenblicke packte uns ein Schauer, wir ergriffen die Flucht, und jeder meinte etwas Entsetzliches gesehen zu haben.
Der Dichter Conz
Nun kam die Zeit meiner Konfirmation.
Conz
hatte mir den Religionsunterricht erteilt. Er ließ uns in demselben neben mündlichem Unterricht, auch religiöse Aufsätze ausarbeiten, aber es war ihm bei diesen um eine schöne Stilisierung mehr zu tun, als um den religiösen Inhalt.
Ein Theologe war er nicht, ob er gleich in der Stadtkirche zu predigen hatte, bei welchem Predigen aber der Übelstand war, daß er sehr undeutlich sprach. Er war von sehr fetter Leibeskonstitution und tat die Pfeife nur ungern, um zu sprechen, aus dem Munde. Seine Hauptstärke war die Philologie, und seine Gedichte trugen
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