Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
Seinen Anzug erhielt er immer sehr reinlich und galant, und man sah ihn bald in eine Liebschaft verwickelt, die oft zu possierlichen, aber auch skandalösen Auftritten die Veranlassung gab. Auch er sprach von nichts als von Liebe und Wein. Ich weiß nicht, was nachher aus ihm wurde.
Der dritte,
Müller
mit Namen, aus Stuttgart, war ein äußerst schwacher Mensch, aber dabei auch der Eitelkeit und der Sucht, Frauenzimmern gefallen zu wollen, ergeben. Seine schwarzen Haare frisierte er alle Tage künstlich in krause Locken, zu deren Erhaltung er immer einen Spiegel und ein Haareisen bei sich trug. Er diente zur Zielscheibe des Witzes der andern. Sie schrieben ihm oft Briefchen, als wären sie von Frauenzimmern, die ihn zu Zusammenkünften beriefen; er begab sich an den bestimmten Ort, da fand er keine, wohl aber die andern in Frauenzimmerkleidern, die ihn neckten und sich endlich ihm zu erkennen gaben. So lange ich noch auf diesem Komptoir war, kaufte er sich von seinem kleinen Vermögen ein Quantum dürrer Pflaumen, von deren Verkauf in Amerika er sich große Reichtümer versprach. Er begab sich auch wirklich in dies von ihm geträumte Pflaumeneldorado und soll dort im Elend gestorben sein.
Der Direktor der herzoglichen Tuchfabrik und Herr des Komptoirs war ein durchaus rechtschaffner Mann, streng religiös, und schien in Herrenhuterischen Grundsätzen erzogen worden zu sein; allein er war zu gutmütig, zu schwach, er sah wohl das Verderbnis der ihm Untergebenen ein, hatte aber nicht den Mut ihm abzuhelfen, besonders da ihm der erste Kommis
Braun
der italienischen Geschäfte wegen unentbehrlich wurde; und von dem Italiener und dem von
Lahr
bezog er ein gutes Kostgeld, das ihm sehr wohl bekam.
Häuslicher Kummer drückte ihn oft sehr darnieder; es wollte auch die Fabrik nicht den gehofften Aufschwung unter seiner Leitung nehmen, er wurde mißkannt, in Untersuchung gezogen und mußte erleben, daß die Direktion der Fabrik, während er noch bei ihr dienend beibehalten wurde, einem, den er als Kommis angenommen, (es war dies in spätern Jahren) übergeben wurde, welcher, allerdings klüger als er, endlich die ganze Fabrik als Eigentum an sich brachte und sich durch Umsicht und Tätigkeit ein Vermögen sammelte. Beide sind nun tot.
Unter diese oben bezeichneten Menschen nun wurde ich damals gebracht. Ich mußte meinen immerwährenden Aufenthalt, meinen Kosttisch, meine Schlafstätte unter ihnen nehmen. Ich mußte ihre stets unsittlichen faden Gespräche anhören; sie waren mir alle vorgesetzt, ich mußte mich von ihnen zu Geschäften anweisen lassen und durfte nie widersprechen.
Mein Hauptgeschäft im ersten Jahre bestand darin, daß ich von morgens bis in die Nacht, auf den letzten Sprossen einer Tuchleiter im Gewölbe sitzend, vor mir einen langen Tisch, auf welchem hohe Berge neu aus der Fabrik hergebrachter Tücher lagen, diesen Tüchern Säcke von farbiger Glanzleinwand zuschneiden und sie in dieselbe vermittelst Bindfadens und einer langen Nadel einnähen mußte. Hie und da wurde dieses Geschäft durch Verfertigung von Musterkarten und Kopieren der Briefe unterbrochen.
Es wäre mir diese Arbeit unerträglich geworden, (denn sie war nicht besser, als die Arbeit der benachbarten Züchtlinge; das Zuchthaus war auch mit dieser Tuchfabrik verbunden, so wie das Irrenhaus), hätte ich mich nicht bald daran gewöhnt, bei dieser Arbeit an was ganz anderes, als an sie, zu denken. Meine Hände machten sie mechanisch fort, während ich Poesien aller Art dichtete, die ich mit Bleistift auf unter den Tüchern versteckte Blätter niederschrieb und in den Freistunden ins Reine brachte. So entstanden ganze Bücher mit Versen, die ich teils verschenkte, teils dem Feuer übergab. Es erhielten sich nur noch wenige dieser Verse meiner frühen Jugend. So schwach sie sind, so bleiben sie mir immer eine Erinnerung, wie sie mir die für mich sonst unerträglich gewesenen Tage erträglich, ja angenehm machten.
Wie aber gerade Schmerz und Gram, wie eine drückende Lage, zum Witze und Humor stimmen, so waren meine poetischen Produktionen hier sehr oft scherzhaft und satirisch. Unter solche gehörte ein ganzes Epos im Blumauerischen Stile, das auch zu mutwillig war, als daß ich es nicht bald dem Feuer übergeben hätte; auch von den andern Produktionen der Art existiert nichts mehr.
Aber auch in Prosa ließ ich Satire und Humor aus. So war ich der Verfasser einer Mystifikation, die noch im Vaterlande von Hand zu Hand läuft, und aus der
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