Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
solle in diesen Plan eingehen. Voll Jammer wandte ich mich an meinem väterlichen Freund
Conz
in einem Briefe nach Tübingen, (er war inzwischen als Professor der Ästhetik dahin gekommen) und dieser schrieb: »Nein, Konditor sollen Sie mir nicht werden!« Ich bestand auch darauf, es nicht zu werden. Wäre ich auf den Plan eingegangen, so hätte ich wenigstens einen sehr originellen und nichts weniger als prosaischen Lehrherrn erhalten. Man hätte mich nämlich zu dem besagten Konditor
Bechtlin
in Ludwigsburg getan. Dieser Mann gehörte auch zu den Ludwigsburger Originalen damaliger Zeit. Er hatte sich eine eigene Theosophie geschaffen, sprach immer von dem Durchgange des Menschen durch die vier Elemente und seiner Vollendung durch seine Erweckung ins Licht, von dem Sitze Gottes in der Sonne und seiner Vermählung mit den Planeten, von den Sternen, als den künftigen Sitzen der ins Licht erweckten Menschen, die ihnen von Jesus Christus vermöge seines Quartiermeisteramtes angewiesen worden seien. Vielleicht wäre ich hier früher zu einem theosophischen Glauben gekommen, aber es sollte noch nicht sein.
Ich hatte aber nichts dagegen, als man mir nun den Vorschlag machte, Kaufmann zu werden und mich auf das Komptoir der herzoglichen Tuchfabrik in Ludwigsburg, wo ich dann zugleich auch die Tuchfabrikation erlernen könnte, aufnehmen zu lassen.
Dies war nun ein großer Mißgriff; denn ich taugte zum Kaufmann so wenig als zum Mathematiker, und meine Neigung, lieber zu geben, als zu nehmen, befähigte mich auch nicht zum Kaufmanne; aber ich schickte mich besonders deswegen darein, weil ich meiner Mutter keine großen Kosten mehr machen wollte.
Mein Aufenthalt auf dem Komptoir der Tuchfabrik in Ludwigsburg
So wurde ich nun auf das Komptoir der damaligen herzoglichen Tuchfabrik in Ludwigsburg geschickt. Als ich hier als Lehrling eintrat, befanden sich daselbst schon mehrere ältere junge Leute als ich. Der älteste war ein Sohn meines ehemaligen Lehrers in Knittlingen, des Präzeptors
Braun,
namens
Friedrich,
dessen ich schon früher erwähnte. Er hatte sich bereits zum gewandten Komptoiristen und Reisenden gebildet und für die Fabrik, die mit ihren Waren die Messen von
Bergamo
und
Sinigaglia
damals häufig beschickte, schon mehrere Reisen in Italien gemacht. Von einer derselben brachte er aus Bergamo den Sohn eines reichen Kaufmanns, namens
Gerosa
mit, der zugleich in Ludwigsburg die deutsche Sprache erlernen sollte.
Noch befand sich auf diesem Komptoir auch der reiche Sohn eines Kaufmanns aus Lahr, namens
Martin,
und ein Stuttgarter, namens
Müller.
Unter all diesen jungen Leuten herrschte das höchste Verderben.
Braun
war ein sehr schöner, junger Mann, gewandt in seinem Äußern wie auch in seinen Arbeiten als Kaufmann; er war vieler lebenden Sprachen, auch der neugriechischen, von der er später eine Grammatik in den Druck gab, mächtig und führte, wie ich schon früher bemerkte, eine ausgezeichnet schöne Handschrift. Bei Frauen und Mädchen spielte er den Galanten mit vielem Glück, uns aber unterhielt er meistens mit seinen, in Italien verlebten skandalösen Liebesgeschichten. Dem Weine war er sehr ergeben, und umsonst schrieb ihm sein Vater in jedem Briefe Bibelstellen, die gegen die Völlerei sprachen. Sein Leben war später durch diese Leidenschaft, nach einer Verheiratung, die sehr glücklich hätte sein können und ihm Glücksgüter zuführte, sehr unglücklich; er starb frühe.
Der Italiener
Gerosa
sah schmutzig gelb, wie aus Seife geschnitten, aus, auch viel älter, als er war, hatte pechschwarze Haare und eben solche Augen. Er war träge, weil sein Körper von Siechtum, das er wohl schon aus Italien mit sich gebracht hatte, aufgedunsen und schwerfällig war. Er war gutmütig, ließ man ihn ruhig, konnte aber, nur etwas gereizt, wie wütend auffahren und einen mit dem Federmesser oder der Schere, die gerade da lagen, durch das ganze Haus den Tod drohend verfolgen. In solcher Wut gaben seine Augen in den dunkeln Gängen oft Feuer, wie die einer Katze. Sein Siechtum nahm aber bald immer mehr zu, es brachen Geschwüre an seinem Halse und der Brust auf, er verließ noch vor mir das Komptoir und kehrte sehr zerrüttet nach
Bergamo
zurück.
Der junge Mann aus
Lahr
war eine ausgezeichnet langgestreckte, dürre Gestalt, sein Gesicht bleich, mit einer großen, vorn dicken Nase, die immer wie aufgeschwollen und mit roten Wärzchen besetzt war. Sein gelbes Haar hatte er in Locken frisiert und gepudert.
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