Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
auf mehrere Monate voraus. Es konnte mir dies nur Unterhaltung und Freude gewähren; Hobeln und Sägen, so schwer es mir anfänglich fiel und oft stark verwundete Hände verursachte, ging doch bald gut von statten, und mein Lehrherr
Bickelmann
(so hieß der Schreinermeister) ließ mich bald wenigstens die gröbsten Möbel allein verfertigen, und diese waren die Särge, deren ich sehr viele schuf. In spätern Jahren fielen sie mir bei den Leichen meiner ärztlichen Praxis oft ein.
Meinem väterlichen Lehrer
Conz
konnte ich bald durch meine Kunst eine Freundlichkeit erweisen; sein lebhafter lieber Knabe
Eduard,
von dem unten die Rede ist, derselbe, der vom Teufel nichts erfahren sollte, 1 starb, und ich machte ihm den Sarg. Der Tisch, auf dem ich noch speise, wurde um jene Zeit auch von mir verfertigt. Noch auf eine andere Kunst brachte mich mein Bruder
Georg,
auf das Spiel der Maultrommel. Es war sein Lieblingsspiel, und er hinterließ mir einige seiner kleinen Instrumente. Von da an übte ich mich auf der Maultrommel und brachte es auf diesem Instrumente so weit, daß ich auf demselben eigentümliche Töne und Weisen fand, womit ich durch mein ganzes nachfolgendes Leben hunderte von Menschen und mich selbst am meisten erfreute. Ich brachte es so weit, daß ich mein tiefstes Innere, mein ganzes Gemüt, meinen Kummer, jeden leisen ungeborenen Seufzer in die Töne dieses Instrumentes legen und in ihnen ausdrücken konnte. Es klang bei mir nicht wie die Weisen der
Tiroler,
nicht zitherartig, mehr wie die Töne einer Äolsharfe, die vor allen den tiefen Schmerz, der in der Natur liegt, ausdrücken. So konnte ich, wie die Natur in die Saiten der Äolsharfe, in die Zunge dieses Instrumentes all die Trauer meines Herzens legen.
Ich machte die Beobachtung, daß die Töne der Äolsharfe vor und bei einem Regen am ergreifendsten, schmerzvollsten sind, und so waren es auch die Töne meiner Maultrommel in den Stunden der Tränen, in stiller Nacht, mit mir allein.
Wie vielen Dank mußte ich dafür meinem Bruder
Georg
wissen, der dieses Instrument, freilich in andern Tönen, aber auch in denen seines Innern spielte: Kriegsmärsche und Lieder der Freiheit, in Klängen einer Zither der freien Höhen Tirols.
Auch für einen Künstler, der mir und meiner Schwester
Wilhelmine
im Malen Unterricht geben sollte, sorgte mein Bruder
Georg.
Er hieß
Hofmann
und war ein armer Teufel, der sich mehr mit Anstreichen als mit Malen beschäftigte. Es war eine kleine dürre Figur und hatte ein Haar, das wie ein Malerpinsel in die Höhe stand, auch mit allerhand Farben versehen war; denn er wischte Finger und Pinsel während des Malens geschwind in den Haaren ab. Da das Anstreichen seine Hauptforce war, so ließ er uns auch bald in Öl malen und wählte dazu als Originale kleine Kopien von
Harper
usw., die dann besonders ich in ungeheurer Vergrößerung wiedergeben mußte. Zwei solcher großen, von mir in damaliger Zeit gemalten, wahnsinnigen Ölstücke, Landschaften, gerieten ominöserweise in das Irrenhaus nach Winnenthal, wo sie sich noch befinden.
Zu diesen Gemälden, von denen eine Menge entstanden, die wir meistens sogleich an Freunde und Verwandte verschenkten, machte ich in meiner Werkstätte bei Schreiner
Bickelmann
die Rahmen, die ich nach damaliger Mode oft sogar mit Messingstäbchen verschönerte. Auch meine Schreinersarbeiten wurden immer bald verschenkt; denn mich konnte nur etwas freuen, was ich andern geben konnte, und da meine Mutter eben so fühlte, so verhinderte sie es nie.
Meine Malerkunst gebrauchte ich auch öfters dazu, um meinen strengen Professor
Breitschwerdt,
wenn er meine schlechtgelieferten Aufgaben durchlesen, an ihrem Ende noch etwas zu besänftigen. Ich machte zu diesem Zweck an ihr Ende ein kleines Landschäftchen, eine Burg, eine Mondbeleuchtung, und suchte ihm doch irgend eine Fertigkeit von mir vors Gemüt zu stellen. Er war aber hier billig, was sich in einem andern Falle zeigte. Er bekam einen jungen Menschen, er hieß
Liomin,
in Kost und Unterricht, der älter als wir alle war, aber weit unter uns in Hinsicht auf die toten Sprachen stand. Dagegen war er schon ein ausgezeichneter Klavierspieler. Diesen stellte er uns vor und sagte: »Ihr dürft diesen nicht verachten, weil er euch in den Sprachkenntnissen noch sehr nachsteht, ihr sollt wissen, daß er schon ein guter Klavierspieler ist, was ihr nicht seid!«
Fußnoten
1 Was unten erzählt werden wird.
Knabenspiele im Winter
Ludwigsburg
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