Bildnis eines Mädchens
willst.«
Emma erstarrte. Es war doch nicht möglich, dass ihre Tochter jeden Respekt vor ihrer Mutter verloren hatte. Mathilde würde
sich mit solchen Frechheiten keinen Dienst erweisen. »Nur damit du es weißt«, sagte sie kühl zum Abschied, »ich habe Dr. Bernhard um einige Adressen von Lungenheilanstalten in der Nähe von Zürich gebeten.«
***
Andrina war genau, was Signora Robustelli erwartet hatte: der Typ Frau, der nicht zu Achille passte. Hübsch, drall, unbekümmert
eitel und mit einem Hang zum Leichtsinn. Eine Frau, die einen seriösen Mann erst zielstrebig umgarnt und dann ruiniert.
Ganz offensichtlich war die junge Frau ehrgeizig. Letzteres hätte auch positiv sein können, doch gewisse Details irritierten
die Signora. Eine junge Frau mit Augenmaß putzte sich nicht derartig auf für eine erste Begegnung mit der Familie des Mannes,
den sie zu heiraten hoffte. Ein, milde gesagt, nicht sehr geschmackvolles Sonntagskleid an einem ganz normalen Werktag, dazu
kostbarer Schmuck, der weder zum Kleid, noch zu seiner Trägerin passte – Signora Robustelli wollte nicht voreilig sein, aber
das sah nicht gut aus.
Erstaunlicherweise stockte das Gespräch aber nicht wegen Signora Robustelli, sondern wegen Achille. Dabei verhielt sich Andrina
höflich und aufmerksam, und die Signora fing sogar an, einen gewissen Gefallen an ihr zu finden, weil sie weniger dumm daherredete,
als sie erwartet hatte. Aber Achille schien unkonzentriert, sodass die Signora ihn sogar einmal zur Ordnung rufen musste.
Die Konversation plätscherte eine Weile ohne Höhen und Tiefen dahin, Andrina schenkte SignoraRobustelli und Achille aufmerksam Kaffee nach und wollte sich dann verabschieden.
»Achille, du möchtest sicher noch ein wenig mit deiner Mutter allein sein. Du hast sie lange nicht gesehen. Wenn Sie mich
entschuldigen wollen, Signora Robustelli, es hat mich sehr gefreut, dass Sie bereit waren, mich kennenzulernen.«
Sie stand auf. Achilles Mutter gab ihr einen Pluspunkt für Höflichkeit, aber überraschenderweise sagte ihr Sohn in ungewöhnlich
barschem Ton: »Warte, Andrina, ich begleite meine Mutter gleich hinaus und rufe einen Wagen für sie. Bleib so lange hier.
Ich bin gleich zurück.«
Andrina nickte überrascht, aber folgsam. Was war das? Er war anders als sonst. Sie hatten den Kaffee in seinem Büro getrunken,
und sie setzte sich mit einem unguten Gefühl wieder hin – nicht auf seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch, was sie am liebsten
getan hätte, aber so, dass sie einen Blick auf die Briefe erhaschte, die geöffnet dort lagen. Sie war aber, wie die meisten
aus dem Dorf, nicht sehr weit mit dem Lesen gekommen, und ehe sie etwas entziffern konnte, trat Robustelli wieder ins Zimmer.
»So«, sagte er streng und schloss die Tür hinter sich. »Jetzt gib mir die Kette, die du da trägst, und sag mir, wo du das
Stück her hast. Ich habe es noch nie an dir gesehen, und ich würde mich wundern, wenn es deiner Mutter gehörte.«
Genau das hatte sie, einer schnellen Eingebung folgend, sagen wollen. Nun schwieg sie lieber und gab ihm ohne Widerrede das
Medaillon. So streng hatte sie ihn noch nie erlebt. Sie hatte sich doch nur hübsch für seine Mutter machen wollen. Was tat
er denn so übertrieben?
Achille Robustelli sah das Medaillon genau an. »Dies ist ein Wappen«, sagte er, »ein Familienwappen, das ich schon gesehen
habe. Wenn mich nicht alles täuscht, ist es das Wappeneiner alteingesessenen venezianischen Familie. Wie um Himmels willen kommst du dazu?«
Andrina war nun äußerst mulmig zumute. Die Straniera hatte ihr das eingebrockt. Die Straniera zerstörte alles, ihr ganzes
Leben, ihre Zukunft. Denn dass Achille aufgebracht war, konnte sie sehen. Jetzt würde er sie vielleicht nicht heiraten, und
schuld daran war niemand anderes als Nika. Sie schwieg verstockt und schürzte die Lippen.
»Also sag schon, Andrina, woher hast du das?«
»Es gehört Nika. Sie versteckt es in ihren Sachen. Ich wollte es nur ausleihen, um hübsch zu sein, wenn du mich deiner Mutter
vorstellst …«
Robustelli, dessen Ruf und Selbstachtung nicht zuletzt auf seiner Korrektheit beruhte, schüttelte den Kopf. »Du hast es nicht
ausgeliehen, sondern gestohlen. Oder hast du Nika um Erlaubnis gebeten?«
Andrina ärgerte sich über ihren Verlobten. Er tat ja wie ein Lehrer oder der Pfarrer. Dabei war er bloß selbst in die Straniera
verliebt, wie der Segantini. Sollte er sich doch
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