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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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beschäftige einhundertfünfzigLeute, und Hunderte von Menschen aus den besten Kreisen Europas verkehren hier. Ich habe unendlich viel Arbeit und sehr viel
     Freude daran. Warum sollte ich hier einsam sein?«
    »Es ist nicht Italien. Nicht deine Heimat, Achille. Hast du nicht Sehnsucht nach einer Heimat und nach einer Frau, die dir
     Heimat gibt?«
    Achille Robustelli war froh, dass seine Mutter selbst auf das heikle Thema gekommen war, und hakte sofort ein. »Richtig, Mama.
     Ich habe hier oben eine Frau getroffen, die mir diese Heimat geben wird. Ich möchte sie dir gern vorstellen. Es ist gut, dass
     du gerade da bist. Denn bald ist die Saison zu Ende, und dann möchte ich sie gern mit nach Bergamo bringen.«
    »Hier oben?«, fragte Signora Robustelli ungläubig, »hier oben willst du sie gefunden haben? Ist sie eine Italienerin? Wird
     sie auch mit dir nach Italien kommen? Hier oben wirst du ja nicht immer bleiben. Eines Tages wirst du ein Grandhotel in Italien
     leiten.« Sie vermisste die schnittige Uniform, die er als Offizier getragen und die ihm so gut gestanden hatte. Aber Achille
     würde auch so die höchste Stufe erklimmen, die in seinem Beruf möglich war.
    »Sie ist aus Maloja, Mama. Aber sie spricht Italienisch wie die meisten Leute hier aus der Gegend. Ihr Dialekt ist dem Italienischen
     sehr verwandt.« Die Ruhe bewahren, das war das Wichtigste.
    »Dialekt?«, fragte Signora Robustelli, als ob sie sich auf eine Nadel gesetzt hätte. »Nun, der dringt hoffentlich nicht durch.
     Du weißt, wie viel Wert ich bei deiner Erziehung immer auf ein tadelloses, elegantes Italienisch gelegt habe. Deine Kinder
     werden hoffentlich nicht Dialekt sprechen.«
    Achille Robustelli atmete tief ein. Sie war hier, daran war nichts zu ändern, und sie war ausgerechnet im ungünstigsten Moment
     erschienen. Es war am gescheitesten, sich auf keinenDisput einzulassen und sie so bald als möglich wieder loszuwerden.
    »Kinder haben wir ja noch keine«, sagte er mit ruhiger, klarer Stimme. »Das wäre dir sicher auch nicht recht, nicht wahr?
     Aber wenn du einverstanden bist, dann trinken wir jetzt einen Kaffee mit Andrina. Und dann lasse ich dich in dein Hotel in
     Sils Maria bringen, denn ich habe alle Hände voll zu tun. Morgen findet hier ein venezianisches Bankett statt, und ich muss
     zusehen, dass alles seinen rechten Gang nimmt.«
    Signora Robustelli nickte zögerlich, aber ergeben. Natürlich hatte sie gehofft, mit ihrem Sohn zu Abend zu speisen, aber ihr
     Achille war eben ein sehr beschäftigter Mann. Darauf musste man selbstverständlich Rücksicht nehmen.
    ***
    Andrina hatte mit dem Stubenmädchen Clara den freien Tag getauscht, um sich auf die erste Begegnung mit Achilles Mutter vorbereiten
     zu können. Sie wollte das Sonntagskleid anziehen, in dem sie mit Robustelli zum Tanz ging. Und sie hatte eine großartige Idee
     gehabt. Luca hatte ein paarmal erwähnt, dass die Straniera ein goldenes Medaillon getragen hatte, als Gian und er sie in den
     Bergen fanden. Andrina hatte es nie an Nika gesehen, aber sie musste den Schmuck doch irgendwo in ihrem Zimmer versteckt haben.
     Und für diesen einen wichtigen Tag, hatte Andrina sich gedacht, würde sie Nikas Medaillon borgen und es danach gleich wieder
     unauffällig an seinen Platz zurücklegen.
    Nikas Kammer war nie verschlossen, das wusste sie, und als auf ihr Klopfen niemand antwortete, schlüpfte sie unbemerkt in
     das Zimmer. Sie hob die Matratze an, wurde nicht fündig, öffnete die oberste Schublade der Kommode, zog dasschwarze Wolltuch heraus, entdeckte das Medaillon und war schon wieder draußen.
    Ein so kostbares Stück! Wie war Nika dazu gekommen? Und warum verbarg sie es so sorgfältig? Hatte sie den Schmuck gestohlen?
     War das vielleicht der eigentliche Grund dafür, dass sie weggelaufen war? Man wusste ja so gar nichts.
    Andrina strich über die eingravierte Rose, den roten Edelstein in der Mitte. Sie konnte ihre Neugier nicht bezähmen, öffnete
     das Medaillon, fand darin aber kein Bild, kein Juwel, nur einen kleinen, zusammengefalteten Zettel. Und was wollte sie mit
     Worten? Enttäuscht steckte sie das Papier zurück in seine Kapsel, legte die Kette um den Hals, öffnete den obersten Knopf
     ihres Kleides, damit man das Medaillon auch sah, kniff sich in die Wangen, damit sie sich mit einem Hauch von Rosa überzogen,
     und wartete darauf, dass Achille nach ihr rief.
    ***
    Selten in ihrem Leben war Emma Schobinger so entschieden gewesen. Sie

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