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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dörthe Binkert
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vorfuhr. Beim Geräusch der sich öffnenden Wagentüren
     wandte er sich noch einmal um. Es war Fabrizio Bonin, er erkannte ihn sofort, der ausgestiegen war und in diesem Moment einer
     Dame aus dem Wagen half. Die junge Frau in ihrem weich fließenden flaschengrünen Samtkleidnahm zärtlich Bonins Arm. Rot flammte ihr aufgestecktes Haar unter dem Hut auf.
    Es war Nika. Da floh Achille ins Haus, eilte in sein Büro und verschloss die Tür.
     
    Fabrizio Bonin sah dem gemeinsamen Abend am unbefangensten entgegen. Er war gespannt auf Mathilde, die er nur vom Hörensagen
     kannte. Sie war von der Tuberkulose geheilt und – wie er aus Briefen von James wusste – seit über einem Jahr mit Edward verheiratet.
     Am meisten freute er sich aber auf James.
     
    James war in Chur zufällig auf Betsy gestoßen, und die beiden waren gemeinsam nach Maloja weitergereist. Betsy war erleichtert,
     James nicht in Anwesenheit von Mathilde wiederzubegegnen. Sie trug James immer noch nach, was Kate mit ihrer Bemerkung als
     bösen Samen in Betsys Herz gepflanzt hatte: dass er sich ganz und gar nicht gentlemanlike gegenüber Mathilde betragen habe.
    »Mein Gott, Betsy, glauben Sie mir, es war halb so schlimm!«, sagte James, als sie ihn darauf ansprach. »Sie haben die üble
     Nachrede nicht vergessen, während ich mich sehr gut an Ihre unglaublich blauen Augen erinnere. Sind Sie nicht ungerecht? Und
     wie hätten sich Edward und Mathilde ohne mich kennengelernt?« Er küsste Betsy die Hand, und sie seufzte leise. In Zürich hatten
     sich einige Verehrer um sie bemüht, aber sie hatte sich nicht zu einer engeren Liaison durchringen können und, da sie sich
     Unentschlossenheit leisten konnte, genoss sie ihre Freiheit. Man weiß nicht, wozu Unentschiedenheit am Ende noch gut ist,
     dachte sie hin und wieder. Übrigens auch jetzt, als sie James ansah, der immer noch äußerst attraktiv war und keinen Ring
     am Finger trug.
     
    Mathilde griff nach Edwards Hand, als die glitzernde Fläche des Silser Sees zu ihrer Linken lag und sich die majestätische
     Fassade des großen Hotels ins Bild schob. Wie viele Erinnerungen und Gefühle diese Landschaft in ihr weckte! Sie war glücklich
     mit Edward – und doch, wie würde es sein, nach all der Zeit James wieder zu begegnen? Etwas bange war ihr schon, sie hatten
     ja nie wirklich Abschied voneinander genommen.
     
    Am meisten fürchtete sich Achille Robustelli vor dem Treffen. Wie hätte er ahnen können, dass Nika heute an Bonins Arm nach
     Maloja zurückkehren würde? Bonin hatte damals nach ihr gefragt, er hatte ihr unbedingt seine Adresse in Venedig geben wollen.
     O ja, er erinnerte sich daran. Musste er sich nicht freuen für sie? Er freute sich nicht. Es krampfte ihm den Magen zusammen.
    Achille holte sein Zigarettenetui aus der Schublade und zündete sich eine Zigarette an. Klappte das Etui zu. Klappte es wieder
     auf und besah sein undeutliches Ebenbild in der silbernen Fläche. »Du bist selber schuld, Achille«, sagte er zu sich. Die
     Selbstbeschuldigung tat ihm wohl. Er hätte viel darum gegeben, nicht zu dem geplanten Abendessen erscheinen zu müssen. Doch
     das war unmöglich. Er schloss die Augen und versuchte, seine gewohnte Haltung wiederzugewinnen. Gedankenverloren griff er
     nach dem Siegelring, den er gar nicht mehr trug. Andrina hatte ihm abgewöhnt, an seinem Ring zu drehen. Das sehe blöd und
     unsicher aus, hatte sie gesagt, und Unsicherheit schicke sich nicht für seine Position. Da hatte er, der Kritik müde, den
     Ring eines Tages abgezogen. Unglücklich stand er auf und ging zum Fenster. Wenigstens war Segantini nicht da. Nika hoffte
     sicher, ihn zu sehen. Aber es befriedigte sein gequältes Herz, dass wenigstens Segantini sie nun verpasste.
    Er sah auf die Wand, wo Segantinis Bild »La Vanità« gehangen hatte. Obwohl sich das Bild nur wenige Monate dort befunden hatte,
     war eine helle Stelle auf der Tapete zurückgeblieben.
    Als es an der Tür klopfte, war er erleichtert, aus seinen melancholischen Gedanken gerissen zu werden. Er ging zur Tür und
     öffnete.
    »Signore Robustelli! Wie gut, dass Sie noch hier sind, am alten Ort!«, rief Nika. Sie war keine Angestellte mehr, die in der
     Tür stehen blieb, bis sie aufgefordert wurde, näherzutreten. Sie tat einen Schritt ins Zimmer und streckte ihm mit hellem
     Lächeln die Hand hin.
    Achilles Herz schlug heftig. Seine klare Stimme, die sonst so besonnen Ordnung schuf, versagte.
    Nika sah ihn strahlend an. Ihr

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