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Bildnis eines Mädchens

Titel: Bildnis eines Mädchens
Autoren: Dörthe Binkert
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widerstandslos in ihrem schwarzen Rock zusammengelegt hatte.
    »Und weißt du was? Niemand stößt sich daran, dass diese Frauen, denen man die Fähigkeit zu fast allem abspricht, nach dem
     Tod ihrer Männer nicht nur die Kinder erziehen und den Haushalt führen, wie man es für sie vorgesehen hat, sondern auch noch
     den Bauernhof, den Gemüseladen, die Kohlehandlung, die Schreinerei, die Tuchfabrik mit zig Arbeitern. Dann können sie das
     plötzlich, die Frauen, und alle halten es für selbstverständlich. Ja, wer soll es denn sonst auch tun, wenn der Sohn noch
     zu klein dafür ist?«
    Betsy stand, von ihren eigenen Gedanken bewegt, schwungvoll vom Sofa auf, streckte sich, hielt ihre Nase in die Potpourri-Schale
     mit den getrockneten, schon leicht angestaubten Blüten, die auf Emmas Salontisch stand, und beendete ihren langen Monolog.
    »Emmy, ich fahre mit Mathilde nach St. Moritz. Aber deine Tochter wird bei mir mit etwas anderen Ansichten konfrontiert werden,
     als sie es von der höheren Töchteranstalt und ihrem Zuhause gewohnt ist. Ich hoffe, du bist dir dessen bewusst.«
    O ja, Emma war sich dessen bewusst. Sie war sich absolut im Klaren darüber, warum sie Frieda als Begleitung für Mathilde ausgesucht
     hatte und nicht ihre jüngste Schwester. Aber nun war es zu spät. Franz mochte seine temperamentvolle junge Schwägerin und
     hatte dem Plan schon zugestimmt.
    »Ja, Betsy«, antwortete sie deshalb nur, »ich bin mir dessen sehr bewusst. Ich hoffe nur, du stiftest nicht unbedacht Unruhe
     in Mathildes Kopf. Das können wir zu diesem Zeitpunkt gar nicht brauchen, wie du weißt.«
    »Und, Emma«, beschloss Betsy das Gespräch, ohne auf diese letzte Bemerkung einzugehen oder zu verraten, dass sie noch ein
     Gespräch mit Franz über die Wahl des Hotels zu führen beabsichtigte, »ich finde übrigens, du könntest dich etwas farbiger
     kleiden. Franz hätte sicher seine Freude daran. Schließlich bin ich die Witwe und nicht du.«

Die Saison kann beginnen
    In der Wäscherei des Hotels Kursaal Maloja schwitzten die Büglerinnen. Die schweren, mit glühender Holzkohle gefüllten Bügeleisen
     fielen zischend und mit sattem, dumpfem Knall auf die Tischwäsche nieder. Auf blütenweißem Damast sollten die Küchenkreationen
     von Signore Battaglia serviert werden und noch die verwöhntesten Augen und Gaumen entzücken. Einhundertfünfzig Gäste hatten
     sich schon für die erste Woche angemeldet, zwei, drei Wochen später würden alle vierhundert Gästebetten belegt sein. Die Bettwäsche,
     die während des Winters eingelagert worden war, weil das Hotel Kursaal Maloja der enormen Heizkosten wegen zurzeit keine Wintersaison
     anbot, war zum Teil stockfleckig geworden und musste vor Gebrauch noch einmal gewaschen werden.
    Die Waschfrauen sahen nur kurz von ihrer Arbeit auf, als Nika in die Waschküche geführt wurde.
    »Sie hört, aber sie spricht nicht«, sagte die Gouvernante, Signora Capadrutt, und schob Nika in die Richtung einer älteren,
     rundlichen Frau. »Giuseppina, kannst du sie einweisen? Sie wohnt bei den Biancottis im Dorf. Die nennen sie die ›Straniera‹,
     weil sie eine Fremde ist und keiner weiß, wo sie herkommt. Sie kann auch beim Bügeln helfen, wenn ihr dort dringend jemand
     braucht.« Die Gouvernante drückte Nika eine große Latzschürze in die Hand und eilte davon.
    Feuchter Dampf hing in der Waschküche und schlug sich wie ein Nebelhauch an den hoch gelegenen Fenstern und den Wänden nieder.
    »Komm«, sagte Giuseppina freundlich, »mal sehen, wo du am nötigsten gebraucht wirst.« Nika nickte und folgte Giuseppina, die
     die Herrschaft über die Waschküche innezuhaben schien und hier die Arbeit zuteilte.
    »Tischwäsche und Bettwäsche werden getrennt behandelt, aber Gott sei Dank ist alles Weißwäsche, das macht die Sache einfach.
     Siehst du, in diesen mit Blech ausgeschlagenen Bottichen wird die Wäsche eingeweicht. Daumenregel ist: Auf hundert Liter Wasser
     kommen ein Pfund Schmierseife, ein halbes Pfund Soda, vier bis sechs Löffel Salmiak und vier Löffel Terpentinöl. Die schmutzigste
     Wäsche kommt zuunterst in den Bottich. Das Seewasser wäre das beste Wasser zum Einweichen, aber wir nehmen der Einfachheit
     halber das Leitungswasser. Die Lauge soll handwarm sein, und dann bleibt die Wäsche zehn bis zwölf Stunden darin liegen. Mina«,
     sie unterbrach ihren Vortrag und winkte ein junges Mädchen herbei, »Deckel auf den Bottich! Wer hat das wieder vergessen?
     Die
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