Bildnis eines Mädchens
Wäscherinnen ein. Achille Robustelli, stellvertretender
Direktor und verantwortlich für das Personal, dirigierte das Geschehen, als gelte es, eine anspruchsvolle Symphonie aufzuführen.
Er schwebte im schwarzen Anzug durch die Gänge und schien überall gleichzeitig zu sein.
Die Löhne waren längst ausgehandelt. Kost und Logis waren frei, aber nicht alle erhielten ein so fürstliches Gehalt wie der
chef de cuisine, Monsieur Battaglia, der mit fast vierhundert Franken doppelt so viel verdiente wie ein Lehrer. Die Kellner
kamen auf fünfzig Franken im Monat.
Andrina hingegen wurde aufgefordert, sich mit dem Gedanken an das schwarze Kleid, die weiße Schürze und das gestärkte Häubchen
zu trösten, die das Hotel stellen würde. Signore Robustelli, der sie in seinem Büro empfing, beschied ihr nämlich mit kurzen
Worten, dass sie sich als Zimmermädchen mit zwanzig Franken im Monat begnügen müsse.
»Da wir eine vermögende Klientel haben«, fügte er aber sogleich lächelnd hinzu und drehte an dem Siegelring, den er am kleinen
Finger trug, als könne er damit zaubern, »kannst du mit weiteren dreißig Franken Trinkgeld im Monat rechnen. So schlecht sieht
es also gar nicht aus.«
Immerhin. Andrina sollte zusammen mit einem anderen Stubenmädchen eine Kammer unter dem Dach des Hotels beziehen. Ein Triumph
war das! Sie würde nicht mehr mit Gian und Luca in derselben engen Stube schlafen müssen. Luca kommandierte sie die ganze
Zeit herum, fragte sie aus und behandelte sie wie ein kleines Mädchen, obwohl sie schon achtzehn war und er nicht einmal zwei
Jahre älter. Und vorher, in der Schlafkammer der Eltern, war es ihr schon gar nicht wohl gewesen. Der Vater schien nur darauf
zu warten, dass sie endlich einschlief, weil er sich dann noch auf die Mutter legen wollte, zum Abschluss des Tages. Aber
Andrina schlief schon seit Kindertagen schlecht ein, und sie hasste es, wenn die leisen Seufzer der Mutter zur niedrigen Holzdecke
aufstiegen und dort hängen blieben, statt dass sie vordrangen bis zur Jungfrau Maria, die doch alles verstand.
Und jetzt würde ausgerechnet sie, Andrina, die Jüngste, nach der es nur noch Fehlgeburten gegeben hatte, im vornehmsten Grandhotel
der Alpen, ja vielleicht der ganzen Welt wohnen, hoch oben in dem gewaltigen Palast mit der Kuppel, über dem Ballsaal, den
dreihundert Gästezimmern, den Speisesälen, der eleganten Eingangshalle. Höher würde sie wohnen als alle Menschen, die sie
kannte, und sogar höher als Signore Robustelli, den sie eben erst kennengelernt hatte.
Nichts von dem, was übelwollende Gerüchte nach der Insolvenz des Grafen Renesse ausstreuten, der dieses Hotel nahe der Passhöhe
des Maloja auf fast zweitausend Metern erbaut hatte, stimmte. Im nahen St. Moritz hatte man behauptet, dass das Riesengebäude
sich um einen Meter in den sumpfigen Untergrund am See gesenkt habe, dass die großartige Heizungsanlage, für die ganze Lokomotivkessel
mit Kohle befeuert wurden, explodiert sei und der Ozonator, der das Hotel belüftete, diese Weltneuheit, giftige Dämpfe in
die Zimmer leite. Was alles erzählt wurde! Der Vater wusste esbesser, der arbeitete ja schon seit Jahren im Hotel, besserte aus, schreinerte nach.
Fieber habe das Hotel heimgesucht, hieß es, eine Spielhölle sei es gewesen. Alles Unsinn! Auch zwölf Jahre nach seiner Eröffnung
und der wechselhaften Geschichte, die es schon durchlebt hatte, war das Hotel Kursaal das schönste Hotel, das man sich nur
vorstellen konnte. Dem Himmel war man hier nah. Ja, dachte Andrina, das Hotel Kursaal Maloja erstrahlte im klaren Licht der
Berge wie ein kostbarer Kristall, ein himmlisches Jerusalem, das nur den Reichsten und Vornehmsten seine Tore öffnete – und
ihr, Andrina, dem hübschesten Stubenmädchen von allen, vor dem noch eine große Zukunft lag.
Achille Robustelli nahm einen Schluck von seinem Kaffee, schob die Tasse aber sogleich mit einer Grimasse zur Seite. Lauwarmer
Kaffee war eine Beleidigung für den Gaumen! Versonnen blickte er auf die Tür, die Andrina gerade schwungvoll hinter sich geschlossen
hatte.
Aldo, der Schreiner, hatte ihm Andrina vorbeigeschickt. Sie sei anstellig, hatte er gemeint, und vielleicht habe der Signore
ja eine Stelle für seine Tochter. Nun, das hatte er, denn erstens brauchte er noch Leute, und zweitens war Andrina höchst
ansehnlich.
Achille Robustelli liebte seinen Beruf, und er hatte es – wenn auch über Umwege
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